Anlässlich ihres aktuellen Albums „Lorca“ geben Daniel und Hannes der polyglotten und multiinstrumentellen Formation Sleepwalker’s Station Einblicke in den Alltag des globalen Tourens. Wie dieser von positiven Zufälle bzw. notwendigen Qualitätsanerkennung lebt, inwiefern Nischenkultur gar nicht mehr so Nische ist, wie gemeinhin behauptet wird, was Sprache kann und muss, was Prosodie bedeutet und wie es mit Sleepwalker’s Station weitergeht, lest ihr hier.
Folknews: Gleichwohl die Frage für dich/euch nicht sonderlich erbaulich sein dürfte – das Wiederholen von Antworten ist immer mit schalem Beigeschmack verbunden -, was verbirgt sich hinter dem Titel eures aktuellen Albums?
Daniel (Gesang, Gitarre): Das Album trägt den Namen des Andalusischen Dichters, Musikers und Schriftstellers Federico Garcia Lorca, dessen Werke, vor allen die des sogenannten „Teatro del absurdo“ als Referenz für einige der Songs wie „hacia marte galten“, aber auch „poeta en Nueva York“, wo er aus Sicht eines Fremden eine andere Gesellschaft observiert und beschreibt.
Wie gestaltet sich der Schaffensprozess eines Albums, dessen Musiker ständig und vor allem in unterschiedlichen Ländern unterwegs sind? Gibt es gemeinschaftliche und längere Zeiten im Studio? Wie passt eine solche Produktion in euren Tour-Plan?
Daniel: Die Lieder dieses Albums haben sich im Laufe der Jahre angesammelt, sind gewachsen, haben sich verändert, fermentiert, haben es aber nie auf eines der englischsprachigen Alben geschafft. Vor drei Jahren haben wir uns in den Kopf gesetzt, ein mehrsprachiges Album aufzunehmen. Nach drei Jahren Aufnahmen in verschiedenen Studios in Ravenna, Barcelona, Jerez de la Frontera, München und Reykjavik mit über 22 Musikern waren wir soweit, die Songs nach Arizona zum Abmischen zu bringen. Dabei haben wir auch die Aufnahmen so gut es ging in den Tourplan eingebaut.
Hannes (Kontrabass): Ja, es war schon ein gutes Stück Arbeit, aber ich denke es hat sich gelohnt. wir sind mit dem Endprodukt ziemlich zufrieden.
Ist „uno di noi“ eine Reminiszenz an Everlasts „White Trash Beautiful“?
Daniel: “Uno di noi” ist eine Neuauflage vom “ragazzo della via Gluck” von Adriano Celentano aus den 60er Jahren, der die Geschichte eines jungen Italieners vom Land erzählt, der in die grosse Stadt ziehen muss, um Arbeit zu finden. In “uno di noi” geht es um junge, ausgebildete Italiener, die das Land verlassen müssen weil sie im eigenen Land ihren Beruf nicht ausüben können. Vom musikalischen Einfluss kann man eindeutig den Widerhall des Hiphops der 90er und auch Bands wie Sublime oder Everlast erkennen.
Hannes: Natürlich Akustikgitarre und Hiphop-Beats; da ist natürlich sofort Everlast im Kopf. aber ich denke wir haben vielmehr versucht unsere Wurzeln und die aktuelle Zeit zu vereinen.
Eindimensionalität verkauft sich in Zeiten, in denen massenhaft Piraten und ähnlichartige Klischees die Bühnen bevölkern, offenkundig alles andere als schlecht. Welche Erfahrungen macht ihr mit eurer unfassbar vielstilistischen Musik? Gibt es Hoffnung für alle Verteidiger pluralistischer Schubladenlosigkeit?
Daniel: Die Hoffnung besteht auf jeden Fall – Lorca wurde letzte Woche im Spanischen Nationalradio vorgestellt und komplett gespielt und kurz darauf bekamen wir die Nachricht, dass das Album in Deutschland für den Preis der Deutschen Schallplattenkritik nominiert wurde. Die Nischenkultur ist vielleicht gar nicht so klein, wie man meint und ich bekomme immer mehr den Eindruck, dass die Leute es langsam satt sind immer nur vorgefertigte Dosenfuttermusik vorgesetzt zu bekommen -denn auch kleine, intime und persönliche Wohnzimmerkonzerte mit akustischer Livemusik sind mittlerweile überall sehr beliebt.
Dass man auch in nicht-englischsprachigen Ländern englische Texte konsumiert und mitsingt, ist kein Novum. Welche Reaktionen ruft eure polyglotte Textgestaltung in unterschiedlichen Ländern hervor? Erfüllen unterschiedliche Sprachen unterschiedliche Funktionen? Ist bspw. das Italienische geeigneter Romantisches zu reproduzieren, indes des Deutsche vielleicht eher für Rationales geeignet ist?
Daniel: Wenn unser Publikum in Hamburg, der Schweiz und in Dänemark einen Refrain auf bayerisch mitsingt ist eigentlich alles gesagt. Und die Leute kannten den Song vorher nicht und sind auch keine Experten von bajuwarischer Tradition. Oft verstehen die Leute auch die Songs auf Englisch nicht, werden aber mitgerissen von der Musik, die eine eigene Universalsprache spricht. So ging es mir persönlich mit Sigur Rós beispielsweise. Jede Sprache hat seinen eigenen Rhythmus und auch wie Du sagst ihren eigenen Charakter d.h. man muss auch beim Schreiben eines Songs und dessen Melodie die Sprache respektieren in der man schreibt. Hinzu kommt noch die Aussprache -ein Lied mit auf bayerisch oder mit wiener Akzent klingt viel weicher und eben ganz anders als wenn jemand im Fernsehhochdeutsch singt oder das R rollt wie das so einige Bands tun. Bei uns ist die Sprache des Songs nicht von der Stimmung sondern von der Geschichte abhängig, die er erzählt. Denn selbst diese verändert sich mit der Sprache. Versucht mal den kleinen Prinz in einer anderen Sprache zu lesen oder Shakespeare. Deshalb kann man auch keine Songs übersetzen. Wir mussten Winter in Berlin komplett umschreiben, weil eine Übersetzung aus dem Englischen zwar möglich war, aber im Deutschen ganz fürchterlich klang. Sogar die Stimme mussten wir ändern und so sang die Bea Bacher den Song ein mit ihrer schönen Stimme und ihrer sanften Aussprache. Die verschieden Sprachen kommen sehr gut an weil es den Zuhörer noch mehr auf Reisen nimmt. Und das funktionierte bisher in allen Ländern auch wenn auf unterschiedliche Weise.
Hannes: Oft ist es auch nicht so wirklich wichtig alles textlich zu verstehen, der Song an sich spricht die Sprache und erzählt die Geschichte. Ich denke die Leute fühlen welches Thema der Song behandelt und können sich auch hinein fühlen.
Inwiefern enthält das aktuelle Album Neues und Altes und stellt sich demnach als Produkt eurer Identität dar?
Daniel: Viele der Songs haben wir vor vielen Jahren geschrieben, es aber nie geschafft, sie auf eines unserer englischsprachigen Alben zu packen. Insofern ist dieses Album eine Essenz von Sleepwalker’s Station und repräsentiert uns als multikulturelle Band noch stärker als alle Vorgänger.
Hannes: Nicht nur die Songs, auch die Mitglieder der Band vereinen Altes und Neues. Mittlerweile sind wir eine wunderbare Gruppe von Musikern aus vielen Altersschichten, die sich musikalisch unglaublich gut ergänzen und eine einerseits neue, andererseits eine angenehm verwurzelte Atmosphäre und Klangwelt schaffen.
Was ist als nächstes geplant? (Album, Tour, usw.)
Daniel: Wir müssen jetzt erstmal zusehen, dass die Welt von diesem Album erfährt. Interviews und Touren in Deutschland (August &Oktober), Italien, Spanien und Holland stehen an. Im November folgt eine US Tour.
Ist euer europäischer – gar weltmusikalischer – Musikanspruch auch ein politischer? Ist Vielsprachigkeit bei euch das Produkt eines weltanschaulichen Plädoyers?
Daniel: Wir haben immer versucht, die Politik so wenig wie möglich in unsere Musik einzubinden auch wenn es nicht immer möglich ist, die Politik (im weiteren Sinne) ganz aus unseren Texten zu lassen. Man schreibt ja doch über Dinge, die einen beschäftigen. Wenn Du mit Politik eher unsere Band als Modell dafür betrachtest, dass verschiedene Kulturen und Sprachen wunderbar zusammen funktionieren können (wie in unserem Song „Tucumán“ in welchem Kastilsch und Katalanisch harmonisch koexistieren) dann ja.
Fühlt euch gern frei, mitzuteilen, was immer euch noch auf der Zunge liegt.
Daniel: Wir touren das ganze Jahr, kommt zu den Konzerten wenn euch diese Art von Musik gefällt. Die Termine findet ihr auf www.sleepwalkersstation.com aber auch auf allen Social Networks. Unsere Musik findet ihr auf Spotify, Bandcamp, Soundcloud usw.