Seit 17 Jahren stehen die Musiker der schwer in ein Genre einzugrenzenden Band Nobody Knows in unterschiedlicher Formation auf der Bühne. Schwer einzugrenzen, weil sie sich ungern in eine Schublade legen lassen und sich in den Jahren ihres Bestehens immer wieder neu erfinden. Stillstand ist des Künstlers Tod – ein Motto, das Frontmann Max Heckel, der ganz nebenbei mehr Zeit seines Lebens mit der Band, als ohne sie verbracht hat, ernst zu nehmen scheint. So bieten die fünf Musiker ihrer treuen Fangemeinde auf Konzerten neben den üblicherweise bewegungsintensiven und musikalisch der Feierlaune zugeordneten Ohrwürmern, auf ihren Studioalben auch lyrisches mit Tiefgang, oder auch mit einem Augenzwinkern Vertonungen von Wilhelm Busch.
In ihrem neusten Werk Folkslieder haben sie sich dem deutschen, traditionellen Liedgut gewidmet und bietet in 13 Liedern durch die Jahrhunderte ein Paradigmenwechsel von etwas Altbewährtem zu etwas Neuem und damit für den Bruch mit Gewohnten.
Die Band wäre jedoch nicht sie selbst, würde sie diesem Altbewährten nicht mit dem Intro des Albums mit einem Augenzwinkern Tribut zollen. Die Langeweile der ermüdenden Wiederholungen mancher Musikstunden tropft unermüdlich mit Geige und Piano gähnend Ton für Ton dem Ende entgegen. Danach wird texttreu in einem Stilmix aus Rap, Folk und Polka bekannten Volksliedern neues Leben eingehaucht. Nun will der Lenz uns grüßen startet mit bluesartiger Mundharmonika, die sich dann zwar der bekannten Melodie anpasst, sich anschließend aber fröhlich durch das Arrangement spielt, als wäre sie der Frühling selbst. Es wollt ein Bauer früh aufstehen fateritirallalat sich ins Ohr um am Ende mit jugendlichem Rap zu überraschen.
Es ist jedoch nicht alles Leichtigkeit und Frohsinn. In kummervollen Tagen entspricht der Feder Wilhelm Buschs und ist unerwartet poetisch ohne ironische Elastizität. Entsprechend warm und ergreifend die musikalische Umsetzung mit Tabia Harzer in der ersten Stimme und zweistimmigen Gesang im Refrain. Und auch Zogen einst fünf Schwäne hat inhaltlich eine Menge mehr zu bieten, als beim ersten Hinhören ersichtlich ist. Einst als Antikriegslied komponiert vermischt Max Heckel den Text mit drei Strophen von Heinrich Heines Werk ‚Nachtgedanken‘, deren bekannter Eingangstext „Denk ich an Deutschland in der Nacht/ Dann bin ich um den Schlaf gebracht“ für den einen oder anderen mehr Aktualität beinhaltet als vielleicht wünschenswert. Eine äußerst gelungene Verwebung zweier unterschiedlicher Texte zu einer Einheit.
Folkslieder ist ohne Zweifel ein Album mit zwei Gesichtern, auf das man sich einlassen sollte und das erst nach mehrmaligem Hören sein wahres Konzept offenbart: Ein Brückenschlag zwischen generationsübergreifender Ohrwurmqualität und tiefer gehenden und berührenden Interpretationen mit dem einen oder anderen Überraschungseffekt. Eine gelungene Zeitreise durch die Vielfalt der Volksmusik und den Beweis dafür, dass die Band sich weiterhin nicht in eine Schublade packen lässt und mit ihrer Art, Spielfreude und ihren Interpretationen ein Alleinstellungsmerkmal für sich beansprucht. Ganz nebenbei wird dem Stillstand musikalischer Entwicklung kreativ und gute Laune verbreitend, die lange Nase gezeigt.
Titelliste:
- Intro – Sommerhitze
- Es warhen drei Gesellen
- Nun will der Lenz uns grüßen
- Es dunkelt schon in der Heide
- Er wollt´einer Bauer früh aufstehen
- In kummervollen Tagen
- Der Mond ist aufgegangen
- Wenn alle Brünnlein ließen
- Zogen einst fünf wilde Schwäne
- Die Gedanken sind frei
- Lustig, lustig
- Heidenröslein
- Nobody Knows the Trouble I´ve Seen
Weitere Alben:
Urbane Camouflage (2016)
Drei Minuten Gehör (2015)
Kleinstadtrhapsodien (2014)
Morgen Kinder und übermorgen auch (2013)
Lyrik im Anzug (2012)
Vielen lieben Dank für diese wundervolle Rezention. Es war ein Genuss sie zu lesen. 🙂