Indes das Klavier unerbittlich den immer gleichen Akkord in perpetuierender Unbeirrbarkeit kultiviert, singt Künstlerin und Sängerin Ute Kneisel über die Unaufhaltsamkeiten des Lebens, schluchzt sich durch die Zeilen und treibt den ersten Eindruck von Kitsch durch das Hinzukommen eines wehleidigen Cellos auf die Spitze – eine perfekte Inszenierung ehe Bass, Schlagzeug und ein folgenschwerer Break das Geschehen mit aller Wucht aus dem Bisherigen reißt. Illute besingt, wie sie sich treiben lässt, die Macht des Zufalls und das Ende der Zeit. Alles Stoffe, die nicht neu, aber in dieser Gewandung erfrischend neu daherkommen.
Doch was will die Dame mit ihren Texten? Anhalten, zeigen oder belehren? Nicht selten kommt das Genre der sogenannten Liedermacher mit der gewichtigen Stimme der Moral daher, kritisiert und will die Idee zur marxistisch, materiellen Gewalt formen. Auch Illute ist „traurig, ein Kind des Kapitalismus zu sein“ und „wütend darüber, dass ihr nicht anderes einfällt, als ein Lied davon zu singen“, aber sie will „auch keine Revolution“. Was ist es also, das die Künstlerin antreibt?
Musik und Text sind Ausdruck des Subjektiven – der Beobachtung. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Gleichwohl degradiert sie sich damit nicht zur Deterministin oder gar Fatalistin, sondern bleibt frei und ironisiert – ja, sie spielt mit der Musik. Und so wirkt der Kleine Wertekanon wie ein beschauliches Kinderlied, indes der Text alles andere als kindlich ist. Gleichwohl legt sie eine ebenso amüsante wie demaskierende Ehrlichkeit an den Tag. Ob es sich dabei um inszenierte Naivität handelt, mag ich nicht bewerten. Es gelingt ihr jedenfalls famos.
Immer wieder beschwören Bands die eigene stilistische Vielfalt – und doch ist ebendiese wie die gängigste Form von Bescheidenheit und Authentizität. Denn vornehmlich da, wo viele Leute von „ich war einfach so, wie ich bin“ sprechen, sind sie es zumeist am wenigsten. Illute spricht nicht von Schubladenlosigkeit, sondern kultiviert sie. Die Regenwolke wird durch eine kratzig, erfrischend Doppelsaitenfolkgeige getragen, kein Land in Sicht mäandert durch die Sphären des Soul und – siehe da – mit Wie es will erklingt alternativer Pop, ehe mit Mein Matrose ein kindliches Schlaflied das stilistische Konglomerat bereichert.
Das ist Musik ganz nach meiner Fasson: Kein Klugscheißer-Weltverbesser-Anklage-Liedermachertum, kein Oberflächen-Beliebigkeits-Pop und keine angestrengte Programmmusik. Illutes Texte sind ebenso authentisch, abwechselungsreich und übersprudelnd vor Ideen wie ihre Musik – und zusammen sind beide bezaubernd. Naiv? Ehrlich.
Titelliste
- Mein liebes Leben
- Kleiner Wertekanon
- Regenwolke
- Kein Land in Sicht
- Wie es will
- Mein Matrose
- Horizont und Bräune
- Trotzalledem
- Sichtbar
- Nur in meinen Augen
- Kaputt gegang‘
Eine sehr genuine Rezension haben Sie da gezaubert, Herr Heckel. Die Musik der Band ist fürwahr sehr eingehend. Vielen Dank für’s Näherbringen.
Gern wieder!
Ein Lesegenuss – in der Tat! Dafür vielen Dank. Ob die Kunst der Dame meinen Hörgeschmack trifft, kann ich noch nicht sagen. Die Stimme erinnert indes an eine, die ich sehr mag.
Alin Coen?
Jawohl.
Dacht‘ ich’s mir! 😉
Wie überraschend. 😀
Die Rezension macht Lust aufs Anhören.
Meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Eine tolle Frau mit strakenTexten. Absoult hörens- und empfehlenswert – wie übrigens auch das Debütalbum.
Allerdings!