Bisweilen verhält es sich mit CDs wie im Kontakt mit Menschen. Der erste Eindruck mag nicht auf den ersten Blick oder das erste Ohr von hemmungsloser Sympathie begleitet sein, was weder die Qualität des Silberlings noch des Gegenübers fair bewertet. Auch „The Orphan King“ war mir beim ersten Kontakt nicht unmittelbar grün. Miss Worby’s Ghost eröffnet in seichtem Tempo: Beinahe raschelnd schleicht sich die Snare durch die Zeilen, die achtsam hingesäuselt sind. Im Hintergrund eine bekömmliche zweite Gesangsstimme, E-Bass, flächige Sounds und eine E-Gitarre. Unauffällig. Wenig grün. Auch der zweite Titel, Elephant Man, bleibt tempogemäßigt und verändert – bis auf eine Picking-Gitarre – recht wenig. Neuerlich tritt in den Instrumentalteilen eine E-Gitarre unauffällig in den Vordergrund. Hinzu kommt ein Akkordeon. Und so vergehen neun Minuten des Albums, ohne dass sich ein positiver Erster-Kontakt-Eindruck einstellt. Und dann endlich: A Golden Crown. Im Unisono eröffnen eine Slight-Doppelsaiten-Fiddle und Gitarre. Subtil, jedoch nicht hintergründig, der Sound einer Bodhran. Hier verschmelzen Elemente aus Pop, gemäßigtem Rock und Folk miteinander, ehe der Titel offen endet. Bekömmlich andersartig und vollkommen unerwartet, nach den popesken Arrangements bisher.
Der namengebende Titel The Orphan King überrascht im Duktus neuerlich. Begleitet von Piano tritt erstmals ein Saxophon in Erscheinung, passiert das Grenzgebiet zwischen Kitsch und Wohlgefälligkeit und offenbart die vielschichtigen Einflüsse des 13-Titlers, die ebenso intuitiv-plausibel wie selbstverständlich-intuitiv daherkommen. Without You – dem Namen nach in erster Vermutung tendenziell eher melancholische Ballade – zeigt sich wieder von einer gänzlich anderen Seite: Kokett-frech, jazzig und irgendwie auch ein bisschen countryesk. In erzählendem Vortragsmodus erinnert die Stimme an den jungen Cash. Und weil Terzen immer helfen, unterstreichen ebendiese eindrucksvoll die Country-Attitüde. So auch Less Broken Now – mit Frauenchor und massivem Blechbläsereinsatz.
Jeder Titel dieses Albums strotzt vor Sinnhaftigkeiten der Details. Zwischen Country, Blues, Jazz, Folk, Rock und Pop – Ed Romanoff kredenzt mit „The Orphan King“ ein ganzheitliches Machwerk, das sich schwerlich fassen lässt und durch ebendiese Vielschichtigkeit erst beim genaueren Hinhören seinen Pudelskern offenbart. Für Hörer von Monostilistik gewiss mehr als nur eine Portion zu viel. Für Detailentdecker, Zeitnehmer und Viel(Stil)Hörer jedoch ein scheinbar unerschöpflicher Fundus, um sich auf musikalischem Weg ein bisschen wie Kolumbus, Magellan oder Diaz zu fühlen.
Titelliste
- Miss Worby’s Ghost
- Elephant Man
- A Golden Crown
- The Orphan King
- Without You
- Leavin‘ With Someone Else
- Less Broken Now
- The Ballad of Willie Sutton
- I’ll Remember You
- The Night Is A Woman
- Blue Boulevard (Na Na Na)
- Lost and Gone
- Coronation Blues