Kürzlich erschien das Debütalbum Claque (klak) der jungen dreiköpfigen Band Chapeau aus der Altmark mit einer temporeichen und modern vertonten Hommage an den Meister der ironisch-makabren Infragestellung gutbürgerlicher Eigenarten und Liebling aller Kinderstreiche: Wilhelm Busch.
Die Band war so freundlich sich unseren neugierigen Fragen zu stellen. Dabei ging es nicht allein um Max und Moritz oder dem Erfolg, den die Band unlängst mit ihren Auftritten erzielt hat, sondern auch um eigene Streiche, Vorlieben und Missgeschicke ….
Kurz und knapp: Welche drei Eigenschaften werden eurem Album am gerechtesten?.
Max (Max Heckel, Bandleader, Gitarre, Violine und Gesang):
Nicht puristisch, eitel und selbstkritisch.
Die meisten denken bei Wilhelm Busch sofort an sein bekanntestes Werk Max & Moritz. Die wenigsten wissen, dass sein literarisches Werk nicht ausschließlich humoristisch und sehr viel vielseitiger ist. Was fasziniert dich/ euch an seinen Werken?
Max: Es mag sich mir einfach nicht erschließen, warum Busch zumindest in den Generationen mit und nach mir wenn überhaupt, dann nur noch im Kontext von Max und Moritz wahrgenommen wird, da ich grade diese Streiche nicht für die Sternstunde seines Schaffens erachte. Die Faszination für sein Werk ist eine doppelte: Einerseits bin ich ein Freund des Graphic Novel und von Comics. Die hiesige sequentielle Kunst wäre nur schwer ohne Busch denkbar. Anderseits ist es seine Auseinandersetzung mit sich und der ihn umgebenden Welt die Kunst schlechthin. So ist er nicht nur großartiger Selbstkritiker und Bemerker eigener Defizite sondern zeigt seinem Publikum zeitlose Eitelkeiten, Schwächen und Absurditäten auf. Und er unterhält es vermöge eines Spiegels, der so gut inszeniert ist, dass das Lachen über sich selbst wahrscheinlich nur in den selteneren Fällen erkannt wird. Man kann Buschs Geschichten als unterhaltsame Verse weglesen oder in ihnen viel mehr und Zeitloses entdecken. Eine Literatur also, die nicht zwingt, nicht den moralischen Zeigefinger erhebt, sondern die Unterhaltung als ein Verfahren der Kritik ausweist. Das ist einfach grandios.
Tabi (Tabiha Harzer, Piano, Querflöte und Gesang):
Als ich ein kleines Kind war, wurde mir unter anderem auch aus Max&Moritz vorgelesen. Damals faszinierten mich wohl eher die Bilder als die Geschichten. Heute ist es der Humor, mit welchem die Texte geschrieben wurden, wo wie die Selbstkritik, die am Ende doch besagt, dass man eigentlich total gut ist, aber die anderen es bloß nicht erkennen. In vielen Geschichten kann man sich auch selbst wiederfinden, wie zum Beispiel beim Jagen der Fliege oder auf der Suche nach einem Maulwurf.
Aron (Aron Thalis Schlagzeug):
Wenn mir meine Eltern damals Texte von Wilhelm Busch vorgelesen haben, dann lebt es leider nicht mehr in meinen Erinnerungen. Ehrlich gesagt bin ich auf Wilhelm Busch durch Chapeau aufmerksam geworden
Woran glaubst du liegt es, dass Gedichte so wenig vertont werden. Liegt es an der besonderen Herausforderung das Thema auf den Punkt, oder in diesem Fall besser auf den Ton zu komponieren?
Max: Ich wüsste gar nicht zu sagen, ob diese Texte selten vertont werden. In dem Studio, in dem wir das Album aufgenommen haben, lag auch ein Busch-Album, das im Vorjahr dort entstanden ist. Seltenheit wäre auch kein Kriterium gewesen, mich der Texte anzunehmen. Zudem entsprechen die Verse in stilistischer Hinsicht meinen Präferenzen: Paarreim und konsequentes Metrum. Demnach sind sie auch dankbar zu vertonen.
Wie schaffst du es, dass Gedicht und Musik eine Symbiose eingehen?
Max: Ich habe bei diesem Album nah am Text gearbeitet, was, zumindest auf diesem Level, bisher nicht der Fall war. So poltert bspw. der Inspektor durch die heimischen Stuben (vorgetragen von Bass und Gitarre), indes die Fliege (vorgetragen von Klavier und Schlagzeug) immer wieder entfleucht. Ähnlich wütet der Gärtner beim Zerstören seines Refugiums, während der zu erschlagende Maulwurf beinahe höhnisch im Hintergrund sein „Huhuhuhu“ vor sich hinsummt. Wir haben uns im Januar drei Tage die Woche im Proberaum verschanzt und an den Liedern gearbeitet – ich denke, dieses Zeitnehmen merkt man den Liedern auch an. Ich hoffe es zumindest.
Viele haben ja in der Badewanne ihre besten Ideen. Was und wo ist dein/ euer kreativer Mittelpunkt?
Max: Es gibt keinen bestimmten Ort. Am ehesten wohl, wenn ich eine Gitarre in der Hand halte, was die Badewanne ausschließt. An „Der Maulwurf“ habe ich am längsten gebastelt und war nie zufrieden. Einen Tag, ehe wir ins Studio gefahren sind, hat es dann Klick gemacht und ich hatte die Idee für die jetzige Form. Die Umstände für kreatives Miteinander sind auf jedem Fall von Cola-Konsum und lecker Fleisch oder Chips begleitet.
Es geht in den bekannten Gedichten und auf Eurem Album vor allem um Streiche und den Angriff auf die Bürgergemütlichkeit. Mal ganz ehrlich: Was war Euer größter Streich? Die Braven unter Euch dürfen auch von Ihrem größten Missgeschick berichten.
Max: Oha, meine großen Streiche verdienen den Ausdruck „Streich“ nicht. Ich hätte mich bei Max und Moritz nicht verstecken müssen … mehr kann ich dazu leider nicht sagen.
Tabi: Einen Streich in diesem Sinne hatte ich bisher noch nie und da ich ein kleiner Tollpatsch bin, geschehen mir Missgeschicke häufiger, wobei diese auch nie groß in meinen Augen sind.
Aron: Meine Familie ist eine Kaffeetrinker-Familie und ich habe mir einmal den Spaß gemacht und mein Bruder zum Frühstück einen herlichen Kaffee mit Milch und Zucker gemacht. Er wusste nur leider nicht, dass ich anstatt Zucker, Salz genommen habe. Meine Eltern und ich haben gelacht, aber mein Bruder hatte daran kein Spaß.
Bereits bei Eurer EP, die es in Verbindung mit deinem Buch „Antipädagogische Hinweise „ gibt, widmet ihr Euch augenzwinkernd Busch, Ringelnatz und Co. Kannst du dich noch an die Umstände erinnern, die dich dazu veranlasst haben diese Art von Gedichten zu vertonen?
Max: Es eröffnen sich mir lediglich drei Möglichkeiten, mit Welt umzugehen. Zwischen allem Wundervollem und Sehenswerten eröffnet sich doch eine nicht unbeachtliche Palette an Defiziten. Entweder ich verschließe mich gegen die Wahrnehmung derselben und versteige mich auf die sogenannte innere Emigration oder gar die vielkommentierte Rückkehr ins Private. Verhalte ich mich jedoch gegenüber diesen Defiziten, so bleibt mir die Verzweiflung an denselben oder der ironische Umgang. Beide können konstruktiv und fruchtbar sein – mein Weg ist jedoch der der Ironie. Und so gilt es, zwischen all dem Unterhaltsamen dieser Form von Literatur das Mehr zu lesen, das gleichermaßen individuell demaskierend wie ernüchternd sein kann. Gute Kritik ist für mich also weniger der Wink oder Schlag mit dem sprichwörtlichen Zaunpfahl sondern der amüsant scheinende Impuls, sich verhalten zu wollen.
Hand aufs Herz. Gibt es einen bestimmten Song auf dem Album, dem Ihr Euch besonders verbunden fühlt? Und wenn ja, warum?
Max: Für mich gibt es keinen derartigen Titel. Ich mag „Der Maulwurf“, weil der zackig nach vorn geht, „Den Frosch“, weil er meine Lust nach Country befriedigt, „Die Schnecken“ für ihren popesken Einschlag … Nein, einen Favoriten habe ich nicht.
Wilhelm Buschs Aphorismen und Gedichte stehen leider nicht mehr auf dem Lehrplan an deutschen Schulen, dabei hat er jungen Menschen auch heute noch viel zu bieten. Euer Album wäre sicher eine willkommene Bereicherung im Deutschunterricht. Wird man Euch vielleicht auch mal in muffigen Klassenzimmern sehen können?
Max: Wenn es nach mir ginge, durchaus gern. Es täte dem von mir erlebten Deutschunterricht womöglich keinen Abbruch, sich nicht nur Faust & Co. zu verpflichten, sondern das Lebensweltliche in den Fokus der Betrachtung und Auseinandersetzung zu erheben.
Tabi: Von mir aus gehe ich gern in Klassenzimmer und trage mit meinen Kollegen die Texte von Wilhelm Busch vor. Schon letztes Jahr traten wir mit unserem Programm „Antipädagogische Hinweise“ im Markgraf-Albrecht Gymnasium Osterburg auf. Den Schülern hat es sehr gefallen. Somit denke ich auch, dass das neue Programm bei Schülern auch gut ankommen würde.
Aron: Es ist schwer einzuschätzen. Letztes Jahr hatten wir einen Auftritt im Markgraf-Albrecht Gymnasium in Osterburg und die Schüler hatten Spaß am Programm. Ich glaube, dass es sehr schwer ist, Schüler und Schülerinnen von der 5-10 Klasse, zu Überzeugen
Ihr alle habt neben der Band noch eigene Projekte. Ihr alle seid zusätzlich entweder Mitglied oder Gastmusiker bei Nobody Knows. Tabiha und Aron sind in den Startlöchern oder bereits mitten in der beruflichen Ausbildung. Du selbst schreibst Bücher und hast letztes Jahr auch noch ein eigenes Label gegründet. Wie lässt sich das mit dem Terminplan und der Zukunft von Chapeau vereinbaren?
Max: Vornehmlich durch ein weitsichtiges Zeitmanagement. Und zwischendrin müssen immer wieder Phasen zum kreativen Durchatmen sein. Alles nur eine Frage der guten Planung. Wie es sich logistisch bewerkstelligen lässt, wenn Tabi studiert, wird sich dann zeigen, aber ich bin guter Dinge, dass wir noch viele Busch-Abende bestreiten werden.
Tabi: Es ist notwendig, dass man wirklich immer weit vorausplant. Man braucht verständnisvolle Freunde und eine unterstützende Familie, die wir ein Glück alle drei besitzen. Meine Familie hält mir immer den Rücken frei, damit ich für meine Musik Zeit finde und mich ausleben kann. Auch den weiteren Lebenslauf sollte man vor Augen haben, um zu überlegen, wie ein Job später mit der Band zu vereinbaren ist.
Aron: Bei mir ist es genau so, wie Tabi es bereits beschrieben hat.
An welchem Punkt setzt ihr bzgl. des Albums bzw. eurer Musik im Allgemeinen das Prädikat erfolgreich an? Geht es da „nur“ um Geld und Verkaufszahlen oder spielen auch andere Aspekte (z.B. Feedback der Leute, Spaß an dem, was ihr tut etc.) eine übergeordnete Rolle?
Max: Es wäre gelogen, wenn ich als Selbstständiger behaupten würde, Geld spiele keine Rolle. Das tut es natürlich auch. Dieses Album ist aber ebenso ein kreatives Produkt, auf das ich ungehörig stolz bin. Wir haben zum ersten Mal durchgängig musikalisch inszeniert, den Texten gehuldigt und haben alle Formen musikalischer Leerstellen vermieden. Aus kreativer Sicht bin ich mit uns wahnsinnig zufrieden und das Finanzielle wird sich über die Zeit zeigen. Was das „Feedback der Leute“ angeht, so freue ich mich auf der Bühne natürlich immer, wenn ein Programm gut ankommt, wenn Texte funktionieren, wenn mitgesungen wird oder wenn ich während des Konzerts in glückliche und lachtränenverweinte Augen schaue. Nachhaltige Resonanz ist eine Kuriosität geworden. Gleichwohl sich – zumindest entspricht das meinen Erfahrungen – Leute gern viel Zeit nehmen, um lange Mails belehrenden Inhalts zu verfassen, fällt positive Resonanz gern im Qualitäts-und-Quantitäts-Modus „schön war’s“ aus. Und um diesen Passus nicht resignativ abzuschließen, noch eine salonfähige Tautologie: Es ist, wie es ist.
Was fürchtet Ihr mehr: Das Urteil eines Freundes oder eines Feindes?
Max: Feindesurteile kriege ich recht häufig und sehe darin meist die Redensart „Mitleid kriegt man geschenkt, Neid muss man sich erarbeiten“ bestätigt, denn ich arbeite fleißig daran. Freundeskritik kann furchtbar verletzend sein, ist aber glücklicherweise nicht allzu häufig. Leider gelingt mir in diesem Kontext die Trennung von Sach- und Personenurteil nicht sonderlich gut. Aber ich arbeite daran.
Tabi: Das Urteil eines Feindes kann ich mir meist schon vor dem Auftritt ausmalen. Es gibt dann plötzlich an den kleinsten Stellen etwas zu meckern, wobei die Meinung des Kritikers schon von Anfang an beeinflusst ist. Ein wahrer Freund gibt mir ein ehrliches Featback mit der Nennung von Dingen, die ihm gefallen oder missfallen haben. Darauf kann man bauen. Ich fürchte mich so weder noch vor der einen oder anderen Meinung, aber nehme mir die eines Freunden mehr zu Herzen.
Aron: Ich fürchte kein Urteil. Wenn mir ein Freund sagt, dass ihm das Programm nicht gefällt, dann ist es seine Meinung. Ich kann damit gut umgehen. Wenn ich Menschen in meinem Alter sehe die sich über so ein Programm lustig machen, dann lässt es mich kalt, denn oftmals haben diese allgemein sehr wenig Ahnung von Musik und von dieser Art noch viel weniger.
Wer Euch schon mal auf der Bühne gesehen hat, weiß, dass es im positiven Sinne verbal manchmal ganz schön zur Sache gehen kann. Für alle, die Euch noch nicht gesehen haben: Wie kann man sich einen Live-Auftritt von Chapeau vorstellen?
Max: Entscheidend dabei sind die konzeptionelle Konzeptionslosigkeit und der Drang nach Enttabuisierung von Lächerlichkeiten. Es gibt Themen, über die „man“ nicht reden darf, aber ich. Auffällig ist dabei, dass insbesondere die sogenannten älteren Herrschaften eine Art von Erleichterung durchleben und hemmungslos darüber lachen können, wie ich davon berichte, dass es unfassbar schwer ist, sich nicht am Gesäß zu kratzen, wenn man beim Konzert in der ersten Reihe sitzt. Ansonsten passiert auch für mich viel Unerwartetes, je nachdem wie das Publikum gewillt ist, mit mir zu kommunizieren. Ich genieße diese Form der Zwanglosigkeit, die alles andere als der Verlust von Pietät ist und niemals im Laissez-Faire münden wird.
Was geht gar nicht, bzw. wann hat man als Band „verschissen“?
Max: Betrachte ich die Großen aller Genre, scheint alles möglich und nichts unmöglich zu sein. Für mich als Musiker wäre es das Schlimmste, wenn ich nichts mehr zu sagen hätte: der Verlust meiner Kreativität. Rastlosigkeit bestimmt mein bisheriges Leben durch und durch – was an manchen Tagen etwas zu viel sein mag. Für mich hat eine Band „verschissen“, wenn ich merke, dass es vollkommen egal ist, welches Publikum vor den Brettern der Welt steht, wenn jede Nuance der Show zur Farce pervertiert ist und alles in Routine und Leidenschaftslosigkeit vor sich hinplätschert.
Was war bisher Euer bestes Konzert und was war das Besondere daran?
Max: Das kann ich nicht sagen. Ich hatte fantastische Abende vor 20 Besuchern und ebenso Festivals vor 5.000 Tanzenden (die allerdings nicht mit Chapeau). Auf der Bühne zu stehen, stellt für mich die intensivste Form von Da- und Wachsein dar. Tut mir leid, ein abschließendes Urteil kann ich dazu nicht abgeben.
Wie du anfangs schon angedeutet hast, gilt Busch auch als Vater des Comics. Mögt ihr alle selber Comics?
Max: Ich schon. Die Kollegen wohl eher nicht. Ich mag dabei sowohl kindliche Formen wie das „Mosaik“, „Asterix und Obelix“ und „Lucky Luke“, aber auch „Batman“ oder „Spiderman“, am meisten jedoch „Watchmen“ und „V wie Vendetta“. Die Fokussierung des Plots beeindruckt mich immer wieder. Sequentielle Kunst kann nicht auf den Textumfang eines Buches zurückgreifen und ebenso wenig durch dichte Bildgewalt eines Filmes überzeugen. Ich meine, dass diese sehr eigenständige Kunstform nach wie vor eher verkannt als wertgeschätzt wird.
Tabi: Ich selbst bin kein Fan von Comics.
Aron: Ich selber finde Comics sehr schick doch bei mir hat die Freude an Comics leider nachgelassen
In den Interviews müssen ja oft die gleichen Fragen beantwortet werden. Gibt es eine Frage, die noch nicht gestellt wurde, die Ihr aber schon immer mal beantworten wolltet?
Max: Die gäbe es bestimmt, aber ich kann ja einem Fragenden nicht die Arbeit abnehmen. Hab vielen Dank für die erfrischend nicht-alltäglichen Fragen, die ausnahmsweise nicht nach der Bedeutung unseres Bandnamens gieren sondern nach echten Gehalten.
Kein Problem, was das Abnehmen angeht, bin ich gerne in Geberlaune. Insbesondere wenn die Antworten so informativ sind. Habt also ebenfalls vielen Dank für den interessanten Einblick und Eure Zeit.
Ich lese ja an sich schon gern, ein Interview dieses Niveaus – auf beiden Seiten – aber sorgt zudem unbedingt für einen grandiosen Start in den Tag! Allen Beteiligten deshalb einen großen Dank an dieser Stelle.
Dafür nicht. 😉
Hier die kurze positive Resonanz im typischen Qualitäts-und Quantitäts-Modus: „Ein sehr schönes Interview!“
Wir haben zu danken. 🙂 Für mich war es das erste Interview in dieser Form und es hat mir viel spaß gemacht, die Fragen zu beantworten. Merci!