Gegenwärtig kriselt es gewaltig in den Nationen, die ihrem Namen nach in der Nähe von Absurdistan situiert sind. Aus diesem Grund gebieten es Anstand und Sitte, diesbezüglich keine weiteren Ähnlichkeiten aufzumachen. Dennoch sollte der politisch-korrekte Leser mit ausreichend Ironie im Hinterstübchen nicht schon hier innehalten.
In Zeiten altbundesrepublikanischen Bewerbungsverhaltens schlägt sich dieser jahrzehntelang kultivierte Duktus des Schaumschlägers zunehmend auch im folkloristischen Schaffen nieder. Der moderne Bürger weist jeden Furz als Referenz aus, will sagen, wenn ich während meines Studiums einmal auf der Buchmesse in Leipzig war, muss in meinem Lebenslauf nicht nur Datum und ein Link notiert sein sondern vielmehr die Auskunft, ich sei „buchmarktorientierten Studien“ nachgekommen. (Besser ist’s jedoch, wenn sich dafür ein noch viel wichtiger klingender Anglizismus finden lässt. Ich hingegen komme oft lebensmittelmarktorientierten Studien nach und kaufe lecker Bratwurst und chinesisches Essen.) So wird als Schwäche im Bewerbungsbogen vermerkt, man „sei allenthalben fehlerfrei und womöglich ein wenig übermotiviert“.
Der possenreißende Großkotz ist auch in der Folklore angekommen. Für meine Festivals und schreibenden Aktivitäten werden mir oft CDs und Texte zugestellt. Und was für Texte! Dass eine Band, die in drei Jahren Bandgeschichte, etwa zehn Auftritte hatte, das musikalische Selbstverständnis einer ganzen Nation nicht komplett revolutioniert haben kann, würde ich – der ich als Laie auf die Materie schaue – fast unterstellen. Aber was weiß ich schon?!
Shootingstars, Hoffnungsträger, Perfektionisten und Großartigkeiten schießen schneller aus dem Boden als die schnellwüchsigen Pilze von Tschernobyl – und haben dabei beinahe weiterreichende Nebenwirkungen für mich, denn schreibe ich als Musiker nun einem Veranstalter und notiere „ich biete eine Mischung aus Polka und Folk dar“, so wird das neben „der internationale Künstler X, der schon mit Größen wie Y und Z im Studio stand“ (leider kenne ich weder X, noch Y oder Z) „und das Verständnis modernen Gitarrensounds auf Jahrzehnte verändern wird“ leider sang- und klanglos untergehen.
Wie Dem-Orient-Demokratie-Bringende-Truppenverbände marschieren diese Horden von selbstverliebten Egomanen in fremde Bühnen ein und hinterlassen ein bewerbungstechnisches Brachland, das sich auf Jahrzehnte nicht mehr erholen wird. Da kaufe ich „schubladenlose Virtuosen“ ein und kriege „Irish Folk der muffigsten Machart“ verabreicht – und der Selbstbeschreibung der „fantastischen Bühnenshow“ folgt ein Quintett, das dann und wann zum Klatschen animiert. Fantastisch.
Früher klopfte man fleißigen Schülern motivierend auf die Schulter und sprach: „Die Drei ist die Eins des kleinen Mannes.“ (Heute würde man als Lehrer für eine solche Aussage verbal gesteinigt. Zu Recht!) Heute klopfen fleißige Bands bei Veranstaltern an und sagen: „Lies mal, was wir alles können! Wir sind alles Einser.“ Und dennoch sollte ich ihnen sagen: „Nein, nur weil es jeden von euch nur ein einziges Mal auf der Welt gibt, ist das Produkt eures Schaffens nicht gleich EINMALIG oder EINZIGARTIG.“ Lasst doch endlich wieder die Kirche im Dorf – am besten in eurem. Das, was ich mache, ist nichts anderes als zig Leute vor mir gemacht haben. Vielleicht mache ich es mit ein wenig mehr Enthusiasmus, vielleicht aber auch nicht. Schaut alle her, ihr Schaumschläger und Quarkrhetoriker dieser Folklorewelt: Ich bin der Ottokar Domma der Geige, ich kann’s nicht gut, aber dreist. Vielleicht.
Wunderbar. Und erneut: Es lebe das Feuilleton!
Endlich mal ausgesprochen, herrlich, Wahrheit tut gut, Danke
Danke für so wahre Worte die sich manch einer ….viele…. Nicht traut….trauen
Mutmacher
Danke für diese Worte…. Mutmacher 🙂
Sehr gelungener Artikel! Sehr kritisch und sorgt dennoch zuweilen für einen Schmunzler.
Sehr unterhaltsam. 😀 Gut gebrüllt, Ottokar.
Ja, sehr unterhaltsam, dennoch denke ich, dass jedes Produkt von Musikern oder anderen Gattungen, in der Art wie sie es präsentieren oder zusammentragen, einzigartig und einmalig sind, wohl aber sicher nicht für jedermann großartig und vollkommen erscheinen. Aber vielleicht verstehe ich auch nur zu wenig von der Ironie in dem Text…
Das könnte sein, Tina. Und dennoch ist die Reductio ad absurdum ein probates Gegenmittelchen.