Waldgeist, heute Waldgeist-Kartell, veröffentlichten im vorletzten Jahr ihr Debüt ,,Hexenwerk‘‘, das mit eloquenten Auf-die-Fresse-Texten damals schon glänzte, dieses Jahr haben die Jungs aus Hamburg nachgelegt. Was auf dem Erstling noch ordentlich schepperte, weicht auf der neuen EP ,,Poesie‘‘ etwas ruhigeren Klängen, ohne den charakteristischen Waldgeist-Sound zu verlieren.
Der Klang
Musikalisch wunderbar klingend, aber dabei schwer in eine Schublade zu stecken, brillieren die sechs Titel durch eine starke Vielseitigkeit. Ein dezenter Genre-Mix, der eigentlich schon ein eigener Stil ist, sorgt für vollen Klang und einen grandiosen Hörgenuss – wie erwartet.
Allerdings unterscheidet sich die neue EP doch in einigen Punkten von seinem Vorgänger. So sind zwei Faktoren besagter Vielseitigkeit zum einen die Percussion, die dem ganzen Werk eine ungewohnte, aber feine Dynamik verleihen und zum anderen eine zweite Stimme.Michas Stimmgewalt, die eine Bandbreite von melancholischer Zärtlichkeit bis rotziges Schleifpapier hat, erklingt auf ,,Poesie‘‘ nicht nur alleine wunderbar, sondern harmoniert auch ausgezeichnet mit der von Musikern Charly. Ihre durchaus rauchige Gesangsstimme scheint perfekt zu passen, verleiht mehr Raum, auch solo als zarte Zweitstimme (die noch immer Wumms hat) und schenkt den Titeln so eine feine Note.
Wortgewalt
Alle Titel von ,,Poesie‘‘ zeigen sich rhetorisch wieder unfassbar stark.
Stellen Sie sich einen modernen Till Eulenspiegel vor, der auf einer Parkbank sitzt und verbal mit Metaphern, sowie gesellschaftskritischen Themen jongliert, als wäre es keine große Sache.
Mit Percussion und spielerischer Gitarre, klingt der erste Titel ,,Poesie‘‘ nach einem Hauch Calypso, aber hauptsächlich nach solidem Liedermacher. Geführt von Michas und Charlys Stimmen ein starker Opener, der frech, frisch und wortgewandt seine Hörer begrüßt.
Mit ebensolcher Leichtigkeit geht es weiter. ,,Lachen ist Revolte‘‘ ist lyrisch ein gutes Beispiel dafür, dass die ,,Auf die Fresse‘‘-Textmentalität der Band deutlich abgenommen hat, was an dieser Stelle aber mehr für eine lässige Reife wirkt, die sich in der musikalischen Entwicklung deutlich zeigt.
Der dritte Track, betitelt ,,Trabantenstadt‘‘, erklingt in gewohntem Waldgeist-Kartell Gewand. Mit rauer und tiefer Stimme, fixen Akkorden, aber auch dynamischen Zupf, den man durchaus als Gypsyswing bezeichnen kann. Erstaunlich ist es, wie gut hier lyrisch – in gerade einmal drei Minuten – ein derartiges Thema aufgegriffen und zusammengefasst wird, aber auch im gleichen Atemzug eine deutliche Ansage enthält:
,,Und nehmt ihr uns die Häuser ab, dann nehmen wir uns die Welt.‘‘
Über ,,Wahnsinn‘‘ erzählen wir an dieser Stelle nichts, denn hören ist so viel besser:
,,Einsamer Wolf‘‘ besticht durch musikalischen Minimalismus, der vollkommen wirkt. Ein hörbarer Beweis dafür, dass es für gute Musik manchmal nur eine Gitarre und eine Stimme braucht. Rau, stark und dabei sehr authentisch. Und so neigt sich eine kurze, aber dafür inhaltlich stark anspruchsvolle Ep seinem Ende entgegen. Im letzten Titel des Albums, verabschieden Waldgeist ihre Hörer mit einem nachdenklichen Ohrwurm, der noch ein letztes Mal zum Mitsingen verleitet.
Die Texte der Band malen ein kritisches Bild der Gesellschaft, halten in Eulenspiegelmanier den Spiegel empor und sind zwar im Vergleich zum Vorgänger deutlich ‚,zahmer‘‘ geworden, haben jedoch noch immer mächtig Biss. Lieder, die ironisch zupacken, aber auch von Verletzlichkeit erzählen. Ein wunderbarer Balanceakt.
Kritik, Liebe, Widerstand. Waldgeist Kartell überzeugt auf ein Neues durch Wortgewalt und musikalische Raffinesse. Ein grandioses Werk, das es schwer macht, nicht sofort nach mehr Titeln zu verlangen. Eine klare Hörempfehlung!
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Titelliste:
01. Poesie
02. Lachen ist Revolte
03. Trabantenstadt
04. Wahnsinn
05. Einsamer Wolf
06. Nemo