Der gleichnamige Opener des Albums ,,Schimpanse & Kanone‘‘ von Musiker Micha Schlüter beginnt flott und gibt einen guten Vorgeschmack darauf, was den Hörer in den folgenden 13 Tracks erwarten wird.
Der latente Unmut der im ersten Titel besungen wird, streift die Themen mehr, als dass er diese wirklich trifft und wirkt so zuweilen etwas oberflächlich und unkonkret, zumal es sich hierbei salopp gesagt um eine Aufreihung der Privilegien und Werte einer Wohlstandsgesellschaft handelt. Erst wird groß angekündigt ,,Ich mache jetzt endlich alles öffentlich und sag‘s Euch mitten ins Gesicht…‘‘ jedoch lässt eine konkrete Auseinandersetzung dann vergeblich auf sich warten. Musikalisch kommt hier einiges zusammen. Indes hauptsächlich Swing erklingt, greift der kräftige Refrain nach punkigen Beats und gibt einen guten Kontrast zur vorherigen, eher ruhigen Bridge. Der nächste Titel knüpft wunderbar an seinen Vorgänger an, bewegt das Tanzbein des Hörers nach den ersten zwanzig Sekunden und beweist dabei, wie gut Swing und Liedermacher harmonieren können. Melodisch, leicht und fein arrangiert, glänzt ,,Stuttgart Calling‘‘ auf der Platte mit seinen knapp drei Minuten Hörvergnügen.
Der dritte Titel, betitelt,,Gefahr‘‘, erklingt in Tönen des typischen Gypsy-Swings, jedoch werden diese relativ rasch von einigen jazzigen Beats abgelöst bevor sie wieder zu hören sind. Hier fällt dem geübten Hörer (im etwas sanfteren Mittelteil des Refrain) auf, dass Schlüters Stimme manchmal etwas dünn im Vergleich zum Teil des doch sehr ausdrucksstarken Restes wirkt. Dies ist allerdings schnell vergessen, sobald die Streicher nach dem letzten Refrain in virtuoser Souveränität ihres Zusammenspiels für ein kurzen, dafür sehr feinen Gänsehautmoment sorgen.
Weiter geht es mit einer Reihe von Songs, die den Swing beiseite legen und einen ganz eigenen Stil zu entwickeln scheinen. ,,Wie es dir geht‘‘ könnte man so durchaus als deutschen Indie-Folk bezeichnen. Das Album gewinnt hörbar an Wortgewalt und gibt den Liedermacher immer mehr zu erkennen. So steht den meist doch recht fixen Rhythmen plötzlich ein schickes Zupfmuster gegenüber und Schlüter singt in ,,Berlin‘‘ über das ‘‘Suchen und Finden‘‘ in vielerlei Hinsicht und Lebenslagen.
Was textlich im ersten Track als weniger konkret und fehlend wahrgenommen wird, bekommt im neunten Lied der Platte (,,Irre‘‘) eine zweite Chance. Hier wird wieder mit Gesellschaftskritik zu Swingmelodien gespielt, immer noch sacht, aber eindeutig klarer und viel greifbarer als zuvor. So singt Schlüter:
,,(…) Kinder spielen mit Tablets
Nur noch selten im Dreck
Andere Kinder hungern
Und unsere sind zu fett (…)´´
Mit Swing und Pop-Beats geht es weiter, dann überrascht ein weiterer Titel.
Weniger ist mehr. Dies beweist ,,Augen zu‘‘ ein Titel, der durch seinen Minimalismus besticht. Das lyrische Ich appelliert an das Innehalten, die Selbstreflexion und besingt eine alte Liebe und wird dabei wieder von sachten Klängen und einem leisen Mundharmonikamotiv getragen.
Der Liedermachersound bleibt auch im nächsten Titel (,,Junge“) bestehen, diesmal düsterer, erzählend und von einem Akkordeon untermalt, erinnert das Lied dabei sehr an deutsche Chansons der sechziger und siebziger Jahre, in diesem Fall ist ,,Zigeunerjunge‘‘ von Sängerin Alexandra ein guter Vergleich.
Die Scheibe endet mit dem Titel ,,Sonne“ und verabschiedet den Hörern mit weiteren ruhigen, warmen Klängen.
,,Schimpanse & Kanone‘‘ ist ein erstaunlich vielschichtiges Album. Was am Anfang etwas oberflächlich und einseitig scheint, gewinnt von Titel zu Titel an Qualität in Form von Wort und musikalischen Arrangements. Aus der anfänglichen Formation von Schlagwerk, Gitarre, Bass, Geige und Gesang entwickelt sich im Laufe des Silberlings ein breites und feines Klangbild. Dem Zupfmuster der Gitarre wohnt dann ein Banjo bei, ein Glockenspiel setzt hier und dort Akzente, ebenso eine Trompete, Synthesizer und der Klang eines E-Bow schleichen sich beinahe unbemerkt ein und auch der Gesang gewinnt durch eine Zweitstimme und manchmal auch mehrstimmigen Hintergrundgesang deutlich an Farbe.
Je öfter man das dritte Machwerk von Micha Schlüter hört, desto mehr scheint man zu entdecken. Es ist ein bisschen so, wie Liebe auf den zweiten oder dritten Blick – nur im Ohr.
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Titelliste:
01. Schimpanse & Kanone
02. Stuttgart Calling
03. Gefahr!
04. Rom
05. Mein liebes Tagebuch
06. Ein neuer Tag
07. Wie es Dir geht
08. Berlin
09. Irre
10. Mit gletscherspaltenden Augen
11. Die Bunten Farben
12. Augen zu
13. Junge
14. Sonne