Was sind Musiker? Diese ernstgemeinte Frage beantwortet der Duden wie folgt: „Instrumentalist, Instrumentalistin, Musikant, Musikantin, Orchestermusiker, Orchestermusikerin“. Das ist wenig gewinnbringend. Wenn ein Musiker derjenige ist, der Musik macht, bliebe also noch der Blick auf den Suchbegriff „Musik“: „Kunst, Töne in bestimmter (geschichtlich bedingter) Gesetzmäßigkeit hinsichtlich Rhythmus, Melodie, Harmonie zu einer Gruppe von Klängen und zu einer stilistisch eigenständigen Komposition zu ordnen“
Wenn ich das also richtig verstehe, ist ein Musiker, eine Person, die es versteht, Töne etc. zu einer Komposition zu ordnen und ebendiese aufzuführen. Das entspricht grundsätzlich dem, was ich vermutet hätte, dass also derjenige Musiker ist, dessen erste Intention es ist, gemäß der obigen Definition tätig zu werden. In Betrachtungen der Verschärfung jüngster Entwicklungen folkloristischen Schaffens stelle ich jedoch fest, dass Musiker zunehmend die Personen sind, die auf besondere Art und Weise bestimmte Klischees repräsentieren. In der sogenannten Folk-Szene sind das u.a. die authentischen Deutsch-Schotten, die natürlich niemals etwas unterm Rock tragen, zunehmend jedoch Schmiede- oder Bergarbeiter, Seemänner und Zugehörige anderer handwerklicher Innungen.
Bleibt also die Frage, was ein Handwerker macht: Er geht einem Handwerk nach („berufsmäßig ausgeübte Tätigkeit, die in einem durch Tradition geprägten Ausbildungsgang erlernt wird und die in einer manuellen, mit Handwerkszeug ausgeführten produzierenden od. reparierenden Arbeit besteht“). Würde also auch grundsätzlich dazu passen, dass auch ein Musiker Arbeit verrichtet – und zwar musikalische Arbeit am Instrument, der Komposition oder der Stimme. Bisweilen treibt mich der Lustwandel über Festivals und sogenannte Mittelaltermärkte. Die Bühnen füllen sich zusehends mit harten Kerls, die augenscheinlich hart arbeitend sind, aber dennoch so zarte Musikerfingerchen haben, dass man sich fragt, wie der Arbeiterschweiß in ihre Gesichter trat, da ihre Hände offensichtlich noch nie einen Hammer berührt haben. Selbst die harten Saiten hinterlassen auf ihren Arbeiterfingern arg schmerzende Schwielen …
Mich irritiert, wenn ich auf einer Bühne sogenannte Piraten sehe, die ebenso wenig von Back- und Steuerbord verstehen wie ein Seemann von Subdominanten und Quinten. So ergeben sich die Handwerksmusiker ganz und gar dem Klischee, maskieren und schminken sich hübsch, um hernach so zu tun, als ob … Als ob was? Ist es nicht offenkundig, dass der schmalschultrige Geiger der Formation X kein Schmied ist? Wenn doch der Schuster bei seinen Leisten bleiben soll, warum dann nicht auch der Musiker bei seinen Saiten? Ist nicht das, worauf wir Musiker uns konzentrieren sollten, die Musik? Ist es nicht die musikalische Entwicklung, die wir durchlaufen sollten, oder ist es tatsächlich die vorauftrittliche Schminkmaschinerie?
Zugestanden ist zweifelsfrei, dass auf der Bühne immer eine Inszenierung dargeboten wird, aber jede Inszenierung, die nicht mit entsprechender Ironie vorgetragen wird, scheitert daran, dass sie authentisch sein muss. Kehren wir also zurück zum schmalschultrigen Geiger: Es tut mir leid, ich sehe die Schwielen in deinen Handflächen nicht, kein Feuer, dass dir den Schmutz ins Gesicht gezaubert hat, und ebenso wenig verstehe ich, warum du auf deinen vielen liederlichen Reisen in jeden Puff musst.
Das Publikum darf zu Recht erwarten, dass auf der Bühne eine Show dargeboten wird, die mitreißen, berühren und in jedem Fall anregen soll. Aber darf das Publikum nicht in erster Linie erwarten, dass das, was auf den Brettern der musikalischen Welt passiert, auch das Musikalische ist? Oder beschämt es mich allein, wenn ich vor mir eine Inszenierung sehe, die sich selbst vollkommen ad absurdum führt? Warum singt ihr nicht davon, wie es ist, ein Musiker zu sein? Wahrscheinlich gibt es ja etwas, das euch antreibt, Musik zu machen. Aber nein, ihr singt davon, wie es ist, Handwerker / Pirat oder eine Elfe zu sein.
Womöglich hatte Wittgenstein gar nicht Unrecht: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Ich kann euch nicht davon berichten, wie es in Mittelerde war, aber ich kann mir die Elbenohren drankleben und so tun. Ich kann euch nicht davon berichten, wie es in den Bergwerken bei York war, aber ich kann man dennoch einen Hammer ans Gürtelchen schnallen. Und leider kann ich auch nicht sagen, wie es ist, wenn man mit einem Schiff des 16. Jahrhunderts auf dem Pazifik gegen Resignation und Skorbut zu kämpfen, aber die Augenklappe kann ich mir auch anlegen. Oder aber ich schweige hernach, bis ich endlich wieder weiß, was es bedeutet, ein Musiker zu sein.
Holla, die Waldfee! Ich kann den Anspruch gut nachvollziehen. Genau das ist doch der Grund, aus dem euer Publikum euch mag. Ihr seid authentisch, hoffe ich jedenfalls.
Sofern aber der Geiger geigen, der Trompeter trompeten kann, ist schon viel gewonnen, dies ist ja auch nicht zwingend der Fall. Ich persönlich kann den Schein- und Fluchtwelten nur wenig abgewinnen, sehe aber das Bedürfnis vieler Menschen dort tief einzutauchen und schließe mich auch nicht ganz aus. Und dieses Bedürfnis wird befriedigt. Nicht nur Sex sells. Doch vielleicht macht es den Künstlern und dem Publikum einfach nur Freude in Rollen zu schlüpfen und andere Seiten auszuleben. Der Geiger wollte als kleiner Junge so gern Schmied werden und musste, wegen Mutti, zum Geigenunterricht, wer weiß…