Anheimelnd säuselt ein Duo in die Kopfhörer – akkordtechnisch wenig aufgeregt, jedoch mit bewusst inszenierten Sangesduktus à la Belcanto. Lieblich. Wie Cola ohne Sprudel. Irgendwann schaltet sich nebst ästhetischem Empfinden auch der Verstand hinzu. Gegenwärtig wird gesungen: „Ihr alle wollt, dass wir uns fügen. / Und es wären ehrlich Lügen, / wenn es hieß‘, wir würden uns gern drücken. / Doch: Was wären Barden ohne Leute, / ohne Zustimmung der Meute, / also singen wir Lieder übers F****.“ Kurze Pause, dann: „Ficken, Bumsen, Blasen, Knacken, Vögeln, / Rammeln, Nageln, Pimpern, Lochen, Bügeln, / Bürsten, Hobeln […]“. So geht es weiter. Der Titelname: Lieder übers Vögeln.
In humoristischen Fragen hat mein Älterwerden zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr vor der Infantilität kapituliert. Der inflationäre Gebrauch von koitusnahen Ausdrücken kann also ein erheiterndes Element sein. Ich höre ein weiteres Lied. Es heißt „Fick dich“. Im Refrain heißt es: „Fick dich und leck mich doch am Sack! / Du gehst mir übel auf die Eier / hau doch ab mit deinem Kack / mit Sack und Pack und deiner Leier. / Man, geh mir aus dem Licht / und guck nicht so doof. Noch mal langsam für dich: / Nerv mich nicht tot.“
Besagte Textauszüge stammen von Das Niveau sowie dem aktuellen Solo-Album von Sören Vogelsang. Die versehentliche Verwendung vulgärer Ausdrucksweisen ist demnach qua Intellekt auszuschließen. Bleibt also die Frage: Warum das Ganze? Wir haben Sören dazu befragt:
01) Grundsätzlich besteht für sprachaffine und -kompetente Menschen – als solchen würde ich dich bezeichnen – immer die Möglichkeit auf andere Ausdrucksformen zurückzugreifen. Der Titel „Lieder übers Vögeln“ beschreitet willentlich andere Wege. Ist es also Selbstzweck, Desensibilisierung oder Entdämonisierung der Sprache?
Zuerst ist der Text ja nicht von mir, sondern von meinem ehemaligen Duopartner Martin Spieß, der selbst hauptberuflich Autor ist und sonst eher ernste Literatur verfasst. Der springende Punkt bei diesem Song ist ja genau der Satz den du oben zitierst, also der, dass sich der Schreiber während des Liedes über den Umstand beschwert, dass alle Leute immer nur anzügliche Songs hören möchten. Um diesem Ruf dann gerecht zu werden und natürlich um genau dieses Thema so drastisch wie möglich auszudrücken, wird dann das gesamte Ende des Songs mit Vulgärsprache um sich geworfen. Live haben wir darüber hinaus den Song dann in einem gestöhnten, gleichgeschlechtlichen Orgasmus beendet, welcher noch mal ein weiteres Tabu-Feld aufwirft.
Also geht es natürlich auch um Entdämonisierung. Ich würde allerdings eher Sensibilisierung, und nicht Desensibilisierung sagen. Das beste Beispiel dafür ist eine unserer Liveshows, in der es in einem Moment über Pornographie ging. Martin hat auf der Bühne über einen Mann gesprochen, der der Büroangestellten ins Gesicht auf die Brille kommt. Das Bild kennt wohl jeder, wenn nicht direkt aus Pornos, dann doch zumindest aus der sehr pornoisierten Werbung. Ausgesprochen und damit direkt in einer Öffentlichkeit konfrontiert zu werden ist in diesem Fall die Sensibilisierung für dieses sexistische, pornografische Bild. Trotzdem finden die meisten Leute die Tatsache, dass zwei Komiker diese Bilder auf der Bühne aussprechen schlimmer, als das woher es kommt. Das ist sehr interessant.
02) Auch im Titel „Fick dich“ wäre die Grundaussage des Titels durchaus anders formulierbar. Womöglich irre ich auch. Was bleibt die Grundaussage des Tracks und warum bedarf es zu diesem Zweck einer vulgären Sprache?
So sehr ich Metaphern und schöne Bilder liebe, so sehr mag ich auch klare, direkte Worte. Und manchmal möchte man einfach nicht sagen „Es tut mir leid, ich glaube Sie haben sich da gerade vielleicht etwas im Wort vergriffen und ich möchte bitte gerne, dass Sie jetzt gehen“, sondern man möchte sagen „Fick dich selber, du Arschloch, und verpiss dich“. Und genau wie jeder Mensch das Recht hat seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, so sollte auch die Kunst und die Sprache das Recht dazu haben, diese Gefühle ebenso auszudrücken, wie sie manchmal hervor kommen: Ehrlich. Der Song geht eben nicht nur über diese nervigen Situationen, die jeder von uns kennt, sondern bricht auch eine Lanze dafür die allseits vorhandene political correctness einmal über Bord zu werfen und gepflegt Dampf abzulassen.
03) Der Inhalt von Texten lässt sich auf vielfältige Art und Weise ausdrücken. Du beziehst in deinen Texten auch politisch Stellung. Wird dabei die gute Absicht nicht von der Rhetorik bzw. von der Wahrnehmung eines Publikums, das dich bspw. gern deiner Vulgarismen wegen anhört, nicht in den Hintergrund gerückt?
Das Gegenteil ist der Fall. Wenn man ausschließlich politisches Kabarett betreibt ist die Zielgruppe sehr eingeschränkt. Macht man aber ein buntes Comedy Programm mit Themen in jeder Richtung, auch teilweise Fäkales und unter der Gürtellinie, ist schon die Zielgruppe eine ganz andere. Ich glaube nicht, dass ein Publikum, welches eine Band ausschließlich wegen der Vulgarismen und des Humors unter der Gürtellinie hört, diese politischen Botschaften nicht mitbekommt. Ganz im Gegenteil. In einem Programm in dem es im einen Moment um einen Kackehaufen im Gesicht und im nächsten Moment um Flüchtlingspolitik geht, bekommt diese politische Äußerung einen ganz anderen Stellenwert, als wenn ich mich 45 Minuten lang über Außenpolitik lustig mache.