Aus fernen Ländern, von fremden Stränden nimmt man sich gern mal Muscheln, bunte Steine oder, je nach Gegend, auch mal Hühnergötter mit. Ob Wenzel dergleichen auch auf dem Rückweg aus Kuba im Gepäck hatte, weiß ich leider nicht. Wieviel vom außerordentlich guten kubanischen Rum zollfrei ist, entzieht sich auch meiner Kenntnis.
Auf jedem Fall reisten in Wenzels Gepäck 11 neue Lieder für das Album Viva la poesia mit zurück in das sehr ferne Vaterland. Sie sind auf Kuba entstanden und wurden zu einem Teil im Februar 2014 im Studio Lucero Records in Havanna, Kuba aufgenommen.
Anders als es vielleicht der Titel vermuten lässt, werden alle Lieder auf Deutsch gesungen. So gar nicht Deutsch sind die eingängigen Rhythmen und Melodien der Lieder. Hier sprüht die Lebensfreude pur, in einem wunderbar leichten Sound wird der Buena Vista Social Club zitiert. Neben Wenzels eigener Band sorgen die kubanischen Gastmusiker Adriel Sanchez Cardoso (Perkussion, Gesang), Robin Felix Martinez Galvez (Trompete) und die Musikerin Lucia Huergo (Alt-Saxophon) für den karibischen Einfluss.
Diese phantastische Musik im Zusammenspiel mit den Texten lässt mich teilhaben am kurzen Moment der Rast in einer fernen, noch warmen Welt, die nicht mehr lange wartet, da sich einige politische Veränderungen abzeichnen. Wie in Alexander Grins Erzählung der Fandango breitet sich die Wärme der Lieder fast physisch spürbar aus und öffnet das Herz für die Texte der Lieder, deren Refrains so eingängig sind, dass ich sie sofort mitsinge. Und hier kommt der Moment der Wahrheit und Klarheit, es gibt nichts Leichtes ohne das Schwere, nichts Süßes ohne das Bittere. Wir leben in einer schaurig-schönen Welt. Wie um diese Gegensätzlichkeit zu unterstreichen, wird Wenzels angeraute Stimme in vielen Liedern vom hellen, zarten Gesang Karla Wenzels oder Maschas untermalt.
Wenzel eröffnet die CD mit dem dringenden Rat sich von den Siegern fernzuhalten, um im nächsten Lied festzustellen, dass immer etwas fehlt. Die Bilder, die er heraufbeschwört, sind immer so unerwartet wie treffend. Mögen sie auch auf Kuba verstanden werden.
Durch die Nacht von Santa Klara träumt sich ein herrenloser Hund, während die Menschen in dieser Nacht ihren Traum leben. Bewegend ist der Titel Tapfere Zahlen, der besingt, dass mit Zahlen alles gezählt werden kann, die Dividende, die Stückchen vom Kuchen, die Flüchtlinge, die einen Ausweg suchen, aber dass sie die Toten nicht mehr zählen, einfach nicht mehr zählen können.
Havanna wartet ist für mich der schönste und auch wehmütigste Titel auf der CD, ohne die anderen hinten anzustellen. Den Moment der Ruhe und des Innehaltens musikalisch und textlich einzufangen, bevor sich im Leben vieler Menschen bald etwas grundlegend verändern wird, halte ich für eine sprichwörtlich reife Leistung.
Wie auch das gesamte Album. Von den Texten bis zur Musik, vom Sound bis zum Arrangement, vom Booklet bis zur CD-Hülle ist das Album für meine Augen und Ohren Extraklasse, ohne dabei geglättet oder steril zu wirken. Von mir gibt es daher eine klare Kaufempfehlung. Sicherlich sollte zum Faible für karibische Rhythmen eine Freude an Sprache und die Bereitschaft zu einer kritischen Weltsicht kommen. Viva la Poesia! Viva Wenzel!
Titelliste
1. Halt dich fern
2. Immer fehlt was
3. Kleines Hafenlied
4. Ich hab mein Vaterland so gerne
5. In der Nacht von Santa Clara
6. Wenn der Kragen ganz verschwitzt ist
7. Tapfere Zahlen
8. Havanna wartet
9. Schönster Tag
10. Viva la poesía
11. Dreißig Wünsche
Um einen Höreindruck zu bekommen, wie sich Wenzel mit Lateinamerika verbindet, kann man sich La Guitarra Hombro der gleichnamigen CD anhören.
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Foto Wenzel – Copyright Markus Altmann
Eine tolle Rezension zu einer sicherlich guten CD. Werde ich mir mal ansehen. 🙂
Dankeschön.