Um ein gutes Folk Festival zu besuchen, muss man nicht gleich nach Rudolfstadt fahren. Venne tut es auch. Venne? Ja, Venne. Ein 3000 Seelen Dorf im Osnabrücker Land nahe der Gegend um die berühmte Varusschlacht. Und ein wenig ist es auch so wie damals im 9. Jahrhundert, als die Germanen das übermächtige Heer der Römer besiegten.
Seit 1998 leistet dieses kleine Dorf Widerstand gegen den Glauben, nur Große könnten Großes erreichen und Großartiges auf die Bühne stellen. Entstanden aus einer Glühweinlaune doch mal ein Folkfest, ähnlich dem Bardentreffen in Nürnberg zu veranstalten, nur eben nichts Gigantisches, dafür aber auf höchstem musikalischen Niveau, fand es dieses Jahr bereits zum 19ten Mal statt. Und trotz aller finanziellen Herausforderungen, ist es auch dieses Mal wieder gelungen, genau diesen Grundgedanken in Perfektion in die Tat umzusetzen.
Wilhelm Busch sagte einst „Steht´s findet Überraschung statt. Da, wo man es nicht erwartet hat.“ Recht hat er. Als Erstbesucher dieses Festivals ist man zunächst von der Freundlichkeit und Offenheit aller Beteiligten beeindruckt. Ein Festival der kurzen Wege, nicht nur was die Entfernungen der einzelnen Spielstätten angeht. Das Eröffnungskonzert im Gasthaus Linnenschmidt punktete nicht nur mit einem außergewöhnlichen wie ebenso liebevollem Ambiente, sondern gleichzeitig mit vier erstklassigen Band, deren Konzerte ebenso in einem mit Feuerstädten, farbig illuminierten Bäumen und großer Leinwand ausgestattetem Biergarten genossen werden konnte. Schade nur, dass es kurz vor Konzertbeginn aus Eimern regnete und die Regenrinne sprengte. Üblicherweise passiert das nur auf dem Hurricane in Scheeßel. Glücklicherweise ist Venne nicht Scheeßel, womit sich der Regen auch relativ schnell wieder für den Rest des drei tägigen Festivals verzog.
Neben all den Veranstaltungen in der Kirche, im Biergarten und auf der Mühleninsel boten sich jederzeit Möglichkeiten mit einigen der 180 ehrenamtlichen Helfern ins Gespräch zu kommen. Viele sicher aus dem Dorf, jedoch auch einige, die von weiter anreisten, nur um bei der Umsetzung dieses einzigartigen Festivals mit helfender Hand dabei sein zu können. Und auch die Musiker sind nicht alle im Hotel untergebracht, sondern nächtigen oftmals bei Gastfamilien und mischen sich gerne länger als üblich unter das Publikum.
Apropos Publikum. Bereits beim Eröffnungskonzert wurde klar gezeigt, dass man feiern möchte, dass man Spaß an der Musik hat und dass man tanzen möchte. Ständiges Ermuntern seitens einer Band ggf. mit zu singen und zu klatschen, war nicht nötig. So wurden kurz vor Mitternacht auch kurzerhand die Tische verrückt, um genügend Platz zum Tanzen zu haben.
Apropos Bands. Anfangs erwähntes hohes Niveau war in der Tat für das räumlich übersichtliche Festival beeindruckend. Insgesamt 35 Bands, teilweise auch aus Großbritannien, Beirut, Schweden, Schottland und Kanada. Alle mit einer hervorragenden Akustik und einem breiten Spektrum des Folk Genre ausgestattet und einige, wie die ostfriesische Folkformation LAWAY, schon seit Anbeginn dabei.
Apropos Folk Genre und die Konzerte. La Kejoca zeigte im Eröffnungskonzert ihren vielseitigen, interessanten und gleichzeitig musikalisch hochwertigen Musikstil über Genregrenzen hinweg und verzauberten mit der eher klassischen Ballade La Luna oder dem interagierenden Publikumssong Hey Ho als Country-Cover-Version von ‚The Lumineers‘. Exzellentes Geigenspiel und klarer, vielseitiger Gesang. So kann ein Auftakt gerne immer beginnen.
Gefolgt von dem Singer Songwriter Ray Cooper, der als Einzelkämpfer auf der Bühne mit Gitarre, Cello, Mundharmonika, guten Songs und witzigen Anekdoten mehr als zu überzeugen wusste. Vor allem sein unplugged gespieltes Abschluss Lied mit entsprechendem Hinausschleichen von der Bühne, hat für zusätzlichen Kurzweil gesorgt.
Ein unglaubliches Gitarrenspiel in Kombination mit Bass, E-Gitarre und Schlagzeug hingegen von der anschließenden Gruppe Namoli Brennet Trio. Modernes amerikanisches Singer-Songwriting, geprägt von Folk, Jazz und Rhythm & Blues mit besagter unglaublicher Fähigkeit der Gitarre Töne zu entlocken, von dem Freunde dieses Instruments nur träumen. Entsprechend die Reaktion des Publikums.
Apropos, welche Band auch spielte, die frenetische gefeierten Musiker von Los Paperboys aus Kanada, Solid Ground oder kleinere Formationen wie Circle Nine – alle haben dazu beigetragen, dass Venne den Großen zu Recht und mit Stolz die Stirn bieten kann.
Man könnte es jetzt poetisch formulieren. Denn ein Rätsel von Musik und vielleicht auch von Festivals besteht zweifelsohne darin, dass ihr Zauber niemals wirklich greifbar ist. Man kann natürlich jedes Teil an sich theoretisch auseinandernehmen und analysieren. Möglicherweise findet man dann eine Begründung für das Gelingen eines Musikstückes oder eines ganzen Festivals. Die Seele eines solchen wird sich dabei jedoch jedem Versuch der Erklärung geschickt entziehen.
Von daher: wer sich zwischen all dem guten selbst gebackenen Kuchen, dem abwechslungsreichen Programm, der Freundlichkeit der Helfer und des Publikums und einem ebenso guten wie erfrischenden und lustigen musikalischen Kinderprogramm einmal selbst überzeugen möchte, sollte unbedingt nächstes Jahr das Jubiläums Festival zum 20. Venner Folkfrühling besuchen und sich von seiner Leichtigkeit gefangen nehmen lassen.
Wer bis dahin nicht mehr warten mag, kann sich hier schon mal mit einigen Impressionen auf das nächste Jahr einstimmen.