Hier in der Altmark und im Wendland sind die Wiesen grün, die Städte beschaulich, die Dörfer klein. Für manche Menschen sind das schon mal gute Voraussetzungen hier zu leben. Um das Leben hier noch lebenswerter zu machen, haben sich viele kleine Kulturvereine gebildet, die das allabendliche Hochklappen der Bürgersteige nach hinten verschieben möchten. So bietet der Clenzer Kulturladen in einem ehemaligen Lebensmittelgeschäft regelmäßig Lebensmittel anderer Art an. In einem liebevoll arrangierten Ambiente, welches an Omas gute Stube erinnert, gibt es Lesungen, Kabarett, Konzerte, Theater, Ausstellungen und Clubkino. Für Freitag, den 17.04.2015, hatten sich die Clenzer Søren Thies eingeladen.
Søren Thies ist gebürtiger Hamburger, wuchs mit klassischer Musik auf und hat sich inzwischen ganz dem Akkordeon verschrieben. Er spielt Klezmer, Musette und Chansons. Eines seiner Programme nimmt die Zuhörer mit auf eine Reise „Von Odessa nach Paris“.
Erzählt wird die Geschichte des Geigers Mischa und seiner Angebeteten Reizele (Röschen), die vor 90 Jahren in Nikolajew lebten. Zunächst lässt Søren Thies seinen Mischa mit einer Klezmerkapelle nach Krakau reisen und spielt die Lieder des jüdischen Schtetls. Der geneigte Zuhörer summt rasch Dos Lidl fun goldenem Land des Musikers Mordekhay Gebirtig mit. Schwungvoll geht es weiter als Mischa von Krakau nach Nikolajew zurückkehrt und auf einer Hochzeit sein Reizele kennenlernt.
https://youtu.be/9GiRwuQQ8Qs
Mischa gewinnt Reizeles Herz mit dem bekannten jiddischen Tango Ikh hob dich tsufil lib. Da sich die beiden in Nikolajew keine Zukunft vorstellen können, beschließen sie in Hafenstadt Odessa zu gehen, um nach Amerika auszuwandern. Die Sehnsucht der beiden nach der Ferne bringt das Instrumentalstück Am Ende der Welt von Søren Thies auf wunderbare Weise zum Ausdruck.
Erschöpft vom Weg nach Odessa spielt Mischa der müden Reizele das Lied Wenn du schon schläfst vor. Der Text stammt von Theodor Kramer, Søren Thies hat ihn sehr gefühlvoll vertont und vorgetragen. Als Mischa am Morgen aufwacht sind sein Reizele und sein Geld weg. Um doch noch auszuwandern, erspielt er sich seine Überfahrt auf der Geige. Der Zuhörer geht mit den traditionellen Stücken wie Moldawski Dans, Mischkas Bulgar und Besaraber Chusidl mit auf große Fahrt. Der Clenzer Kulturladen wird durch die Musik zur Holzklasse eines Ozeanriesen.
Doch Mischa erleidet Schiffbruch und strandet an der französischen Mittelmeerküste. Als Musiker findet er aber bald wieder Anschluss an eine Kapelle. Hier in Frankreich lernt er Musette-Stücke kennen und spielen. Søren Thies spielt diese Stücke und singt alte französische Schlager, wie sie von den Drehorgelspielern auf den Pariser Hinterhöfen vorgetragen wurden. Lieder wie La Cane de Jeanne von Georg Brassens oder Coeur de Vagabond von Joseph Colombo lassen die Zuhörer von Frankreich träumen. Der Rotwein im Glas funkelt auf einmal sehr französisch. In den Musette-Stücken mischen sich Walzer und Polkas aus dem französischen Süden mit dem städtischen Swing der französischen Sinti und der quirligen Volksmusik italienischer Einwanderer. Das Publikum ist begeistert, einige Mutige legen eine flotte Sohle aufs Parkett. Mit dem Lied Sur les quais du vieux Paris verlassen Mischa und Søren Thies Frankreich und beenden nun doch noch ihre große Reise in New York. Natürlich gibt es ein Happy End mit Reizele. Mischa und Reizele schmachten sich leidenschaftlich beim Lied Nakht in Gan Eden an.
Im Clenzer Culturladen übernimmt, der mehr oder weniger zufällig anwesende, Musiker Stefan Goreiski auf dem Akkordeon den Part der Reizele. Zur Freude des Publikums haben sich Stefan als Reizele und Søren als Mischa musikalisch sehr viel zu sagen. Soviel Können und Spielfreude erfordert natürlich eine Zugabe. Für das furiose Ende des Konzertes spielen sich die beiden mit der Grinen Kuzine beinahe um Kopf und Kragen. Die Grine Kuzine ist ein Lied über Neuankömmlinge in Amerika, die noch grün hinter den Ohren, unerfahren und naiv sind und damit eine leichte Beute für allerlei Gesindel. Nun grün und unerfahren wirken weder Søren Thies noch Stefan Goreiski, beide sind Meister ihres Fachs. Sollte Søren Thies einmal in eurer Nähe ein Konzert geben, lohnt sich ein Besuch auf jeden Fall. Gleiches gilt für Stefan Goreiski. Auf jeden Fall sollten sie öfters zu ihrer und zur Freude des Publikums gemeinsam musizieren!
Ein sehr guter Beitrag, wirklich anschaulich geschildert. Schade, dass ich diesen Abend verpasst habe. Weiter so!
Vielen Dank!