Es gehört zu den vielgeliebten Phänomenen des Musiker-Daseins, dass sich derzeit – wie wahrscheinlich zu allen Zeiten – die sogenannten Folklore-Nazis von Festival zu Festival drängeln, um den auftretenden Bands am Merche-Stand mitzuteilen, wie viele andere Bands jeweils viel, viel besser wären. „Die sind so authentisch.“ Damit kann ich im Allgemeinen sehr gut leben, weil ich weiß, dass ich weder sonderlich gut singe, noch fulminant mein Instrument beherrsche.
Im Absurditätenrausch der ländlichen Auftritte ist es eine vielgeliebte Frage, ob man denn nicht in der Lage sei, „was Vernünftiges“ – so bspw. „Atemlos durch die Nacht“ – zu spielen und nicht diesen „Country-Scheiß“? Besonders liebe ich dabei diejenigen Zuschauer, die eigens für diese Frage während des Auftritts auf die Bühne kommen, mir spuckender Weise ins Ohr brüllen – da der Bühnen-Sound ein normales Reden unmöglich macht – und die nach meinem Verneinen enerviert kopfschüttelnd die Bühne wieder verlassen, um hernach aus sicherer Entfernung mit dem Stinkefinger nach uns zu winken.
Bedauerlicher Weise ist das jedoch ein recht seltenes Phänomen. Häufiger hingegen begegnen mir die trunkenen Liebeserklärungen durchs Mikrofon. Für jede Frau muss es DIE Erfahrung ihres Lebens sein, wenn der momentane Lebensabschnittsgefährte schwankend die Bühne entert, um hernach „Yvonne … ich liebe dich“ ins Mikro zu brüllen. Man sieht regelrecht, wie dem Rest des Publikums dabei das Herz aufgeht, was zumeist begleitet wird von frenetischen Ad-Hoc-Hochzeitsgesängen. Voll romantisch!
Meine momentanen Lieblinge unter den Bühnenbesteigern sind jedoch die sogenannten Folk-Nazis. Zumeist deutlich an den verschränkten Armen vor der Bühne erkennbar, harren sie bisweilen volle drei Stunden vor der Bühne aus, um vor der letzten Zugabe festzustellen: „Ey, ihr macht ja überhaupt kein‘ Irish Folk hier aufm Festival!“ Das trifft zu. Und da der Folk-Nazi anscheinend grade Fakten tauschen mag, muss man einfach sagen: „Ja, fein!“ Als Pädagoge muss man immer loben. Damit der Freund echten Irish Folks dann glücklich ist, spielen wir „Word Up“ – einen typisch irischen Klassiker von Cameo. Der Folk-Nazi grinst selig: „Geht doch!“, weil wir nun endlich Englisch singen – oder sowas in der Art! Und bei „The Drunken Sailor“ löst er endlich die Arme unter den Achseln und schwingt voller Glück hin und her. Der Folk-Nazi kennt nur eine Sprache: etwas, was klingt wie Englisch, oder Irisch oder irgendwas anderes aus der Ecke, er will bei einem Festival mit vier Bands vier Mal die gleichen Stücke hören und wenn er eins nicht leiden kann, dann sind es diese Ärsche, die einfach Deutsch singen. So heißt es schon bei Asterix und Obelix: „Ich hab‘ nichts gegen Fremde. Ich mag Fremde sogar. Aber diese Fremden da, die sind nicht von hier.“
Herrlich und so wahr, dies haben wir ja schon diverse Male live erleben können 😉
Ein Schmunzeln konnte ich mir beim Lesen nicht verkneifen.
Köstlich! Ein wundervoller Artikel! Ich habe mich herrlich amüsiert!
Mein lieber Schwan – den Begriff Nazi auf den Plan zu rufen, ist ja starker Tobak! Dachte ich … Nach Überwinden des ersten Schrecks und eigener Deutung im Sinne von radikaler Ablehnung von Vielfalt und Andersartigkeit (um der Reinheit willen) stellte sich bei fortgesetzter Lektüre dann purer Genuss ein. Welch ein Blick auf von mir selbst Erlebtes – wunderbar! Lieber Chefredakteur, ich freue mich auf jeden Artikel im Feuilleton.
Gudrun ich kann dir in allem nur zustimmen.! Treffend formuliert.
wunderbar! Ich beginne den Tag mit einem amüsierten Gefühl und einem breiten Lächeln. Bitte unbedingt mehr davon.
Es wäre irgendwann nervig, wenn immer dasselbe gesungen werden würde!