Es gibt allerlei seltsame Stilrichtungen, die sich mit viel Elan aus dem gerade angesagten Folk Genre entwickelt haben. Piraten Folk war eine mir bisher eher unangenehme Richtung dieser Auswüchse. Bis…ja, bis mir die wohl sprichwörtliche Ausnahme auf den Tisch segelte.
Die Osnabrücker Crew um Mr. Hurley & die Pulveraffen hat sich seit 2009 heimlich von einem Geheimtipp zum Senkrechtstarter entwickelt. Nach drei Studioalben, zwei EP´s und einer Live-DVD, bleibt die Band auf ihrem neuen Album Tortuga auf den ersten Tönen scheinbar beim eingeschlagenen Kurs der Vorgänger. In 17 akustischen Folksongs plus Bonustitel singt man über Piraterie, die weiten der Meere, über Weiber und vor allem über das Trinken. Dennoch, die drei musikalischen Brüder haben mit Tortuga mehr zu bieten, als das übliche Yo-Ho und ne Buddel voll Rum.
Dass die karibischen Nordlichter die Konkurrenz um einige Schiffslängen abhängen, liegt nicht nur an der flotten Instrumentierung und der (inzwischen) astreinen Produktion, sondern vor allem an den kreativen Texten, die mit reichlich Ironie und Wortwitz das Freibeutergenre amüsant auf die Schippe nehmen.
So startet das Album mit Totgelacht gleichsam einprägend wie dynamisch, kreativ mit Orgelspiel, geht gewohnt in die Beine und stimmt im Refrain mit „Nimn uns nicht zu ernst, aber nimm dich in Acht“ auf Kommendes ein. Musik mit Humor und Rhythmus. Gute Laune inklusive.
Dennoch zeigt sich gerade in den Liedern Der Haifisch und Wär ich Gouverneur zeitgemäße und politische Texte, denen man mehr als nur ein Ohr leihen sollte. Letzteres verpackt mit ungewöhnlicher, zusätzlicher Instrumentierung mit Klavier und Cello. Für mich sowohl im Text, Inhalt, Arrangement und Umsetzung das interessanteste und gelungenste Lied des Albums.
Kreative Ideen auch in Schlechtes Vorbild mit kompletten Kinderchor und in Trau keinen Piraten, in dem Melodieanteile des Partisanenliedes ‚Bella chio‘ verwoben wurden.
Verpackt werden die Songs in einer an sich runden Geschichte, die in vier kleinen Texten zwischen den Liedern erzählt werden. Angefangen vom Eintreffen auf Tortuga, der legendären Insel vor der Küste Hispaniolas, die im 17 Jahrhundert als Piratenstützpunkt galt, und einem gut gewählten Ende mit dem Lied Gute Nacht Tortuga. Ein offensichtliches Schlaflied, welches beim genauen hinhören im Laufe des Textes deutlich an Schärfe gewinnt, ohne melodisch an Leichtigkeit zu verlieren. Alles in allem ein Gesamtpaket ohne abgelutschte Phrasen oder sich ähnelnde und wiederholende Melodien. Jedes Lied eine neue Idee.
Wenn man an dem Album überhaupt etwas auszusetzen haben könnte, dann die Tatsache, dass mit der Neuauflage des Bestsellers Blau wie das Meer als Bonustitel, die sonst in sich schlüssige Geschichte des Albums aufgebrochen wird. Freunden der Feierfraktion und Fans der Pulveraffen hingegen wird das jedoch sicher wenig stören.
Titelliste:
- Totgelacht
- Achtung, fertig, Prost
- Blakes Landgang I
- Tortuga
- Ich Kanone Dich nicht leben
- Trau keinem Piraten
- Schlechtes Vorbild
- Blakes Landgang II
- Gib dem Affen Zucker
- Das Letzte
- Wär ich Gouverneur
- Blakes Landgang III
- Mit´n Schwert
- Was du kriegen kannst
- Der Haifisch
- Blakes Landgang IV
- Gute Nacht Tortuga
- Bonus: Blau wie das Meer (2017)