Edin Mujkanović spricht über das neue Album von Cicinatela, musikalische Identitäten und von einer Heimat zwischen den Tönen.
Oftmals wohnt Sprichworten wie „Nomen est omen“ ein wahrer Kern inne. Was heißt euer Bandname (nicht nur Übersetzung, sondern für euch)?
Der Bandname bedeutet auf georgisch Glühwürmchen. Den Namen kann man jetzt nicht direkt auf unsere Personen beziehen. Man müsste die Verniedlichung weglassen, da wir eher Glühwürmer wären.:-) Mich erinnert der Name immer daran, das Leuchten, auch das Feuer und die Leidenschaft für die Musik und für unser Ensemble immer wieder aufs Neue zu entfachen und lebendig zu halten. Dieses innere Glühen und Leuchten überträgt sich auch auf andere und das ist entscheidend nicht nur für das gemeinsame Musizieren.
Was bedeutet der Name eures aktuellen Albums (s.o.)?
Tungi bedeutet Wasserkrug. Wir sind auf den Titel gekommen, als wir feststellten, dass in mindestens drei von unseren georgischen Liedern der Wasserkrug ein Thema ist. Der Krug ist ein wichtiges und unentbehrliches Utensil, da man mit ihm das lebenswichtige Nass ausschenken kann. Alkohol geht auch, aber das war uns jetzt nicht so wichtig. Der Krug ist einfach ein schönes Symbol.
Ihr habt die Musik eurer Heimat mit nach Osnabrück gebracht. Ist ebd. Musik Ausdruck eurer Identität?
Unsere Musik ist definitiv Ausdruck unserer Identität, wobei wir vier vermutlich alle einen anderen Identitätsbegriff haben. Natalias Liebe und Sehnsucht und auch Heimweh nach ihrem Heimatland Georgien spürt man zum Teil in jeder Note, die sie singt. Mein Identitätsbegriff ist dagegen etwas anders. Mein bosnischen Wurzeln kommen immer stärker zum Vorschein, je älter ich werde. Als Jugendlicher habe ich sie geleugnet und wollte als in Bremen Geborener mit dieser Seite nichts zu tun haben. Aber irgendwann packte es mich und lässt mich seitdem nicht wieder los. Über die Musik entdecke ich diese Wurzeln wieder. Insgesamt ist mein Identitätsbegriff aber eher offener, um es mit Frank Zappa auszudrücken: „Home is, where the heart is.“ Manchmal denke ich, Identität ist eher ein Gefühl, welches sich auch ändern oder multipel angelegt sein kann. Da spielen verschiedene Heimaten eine Rolle, auch Fernweh und menschliche Beziehungen. Auch Falk als gebürtiger Greifswalder und Felix aus Lohne werden ebenfalls ihre eigene Vorstellung von Identität und Heimat haben.
Warum Musik und nicht bspw. Malerei oder ähnliches?
Musik ist direkt; sie geht ins Herz und noch tiefer. Malerei kann mich zwar auch sehr berühren, aber Musik ist unmittelbarer. Sie geht an die Substanz, an das Elementare und Unaussprechliche. Musik ist unser Mittel, uns adäquat auszudrücken.
Es gibt Puristen, die die Vermischung unterschiedlicher Genre und Stile strikt ablehnen. Wie geht es euch damit?
Ja, die Hohepriester und Hüter der Reinheit verkünden ihre Lehre in vielen Musikkulturen und Genres. Ich halte nicht viel davon. Musik lebt und lebte schon immer vom Austausch und der Begegnung. Allerdings legen wir als Band großen Wert darauf, dass unser Cross-Over behutsam und organisch von statten geht und gleichzeitig gut durchlüftet ist. Unser Repertoire umfasst ja georgisches Material, sephardische Lieder, Balkansongs und Mediterranes. Außerdem haben wir viele Eigenkompositionen, in denen unsere eigenen persönlichen musikalischen Gedanken diesen gleichen Geist atmen. Ich denke, es ist eher eine Frage der Qualität der Umsetzung. Ich kann mir im Moment z.B. für uns nicht vorstellen, beispielsweise afrikanische oder irische Klänge in unsere Musik einzubauen, nur damit sie vielleicht exotischer oder noch multikultureller klingt. Wenn dagegen die Möglichkeit besteht, mit versierten Musikern aus diesen Bereichen zusammen zu spielen oder wenn diese Musikkulturen nach einer eingehenden Beschäftigung Teil der eigenen musikalischen Sprache oder Identität geworden ist, dann kann diese Verschmelzung das Schönste überhaupt sein und wahnsinnige Kräfte und Kreativität freisetzen. Wir sind als Musiker total frei und das ist fantastisch. Dennoch bewegen wir uns mit Cicinatela bewusst innerhalb eines vage umrissenen Genres, in dem wir uns an die Grenzen herantasten, sie dehnen und stauchen. Es muss halt passen und das ist entscheidend für unsere Ästhetik. Dabei entscheiden wir aber nicht bewusst, jetzt nehmen wir an der Stelle eine Prise Flamenco oder eine Messerspitze Makam oder Schwarzmeerküste. Wir tun es einfach intuitiv oder eben auch nicht. Das ist durchaus ein komplexes Unterfangen. Manchmal existiert auch nur ein schmaler Grad zwischen einem gelungenen Stück und einer öden Fusion, die sich auf ausgetretenen Pfaden bewegt.
Zur Bandgeschichte: Wie lange gibt es euch?
Insgesamt seit etwa vier Jahren, in dieser Besetzung allerdings erst seit einem Jahr.
Wie habt ihr euch gegründet (wann, aus welchem Grund, usw.)?
Unsere Sängerin Natalia suchte 2010 zunächst nach passenden Musikern um ihre geliebten georgischen Lieder aufzuführen. Befreundete Musiker empfahlen ihr den Gitarristen Edin. Wir trafen uns, musizierten los und die Schwingungen stimmten auf Anhieb. Anschließend suchten wir fast ein Jahr nach einem geeigneten Perkussionisten. Die perfekte Lösung wurde mit Felix Holzenkamp Anfang 2011 gefunden. Falk Ostendorf stieß Mitte 2013 dazu und ersetzte den damaligen Bassisten.
Inwiefern habt ihr euch seit eurer Gründung verändert bzw. seid euch treu geblieben.
Musikalisch rücken wir von Probe zu Probe und von Konzert zu Konzert enger zusammen. Das ist durchaus auch hör- und wahrnehmbar für unsere Fans aus unserem Barrio, die uns schon länger verfolgen. Wir kennen uns gut, wissen, was wir vom anderen erwarten können und was nicht. Gleichzeitig können wir uns gegenseitig noch ziemlich überraschen. Da holt dann einer von uns etwas aus der Kiste, womit keiner gerechnet hat. Das macht Laune. Wir sind uns hinsichtlich der Arbeitsweise treu geblieben. Wir probieren viel aus, lassen es laufen und proben in der Regel ohne Noten oder Partituren. Skizzen natürlich hier und da, aber wir bauen darauf, dass ES sich findet. Dies ist mitunter der zeitaufwändigere Prozess, aber das musikalische Ergebnis stimmt am Ende alle zufriedener, weil jeder sich adäquat einbringen kann. Im Verlauf einer Probe gehen die Temperamente manchmal durch und es wird hitzig, aber das gehört dazu, ist reinigend und dann haben wir uns wieder lieb.
Als Creolo-Nord-Sieger und Teilnehmer des TFF seid ihr ja hochdekoriert. Wie erklärt ihr euch den Erfolg?
Der Gewinn der Creole-Nord war sicher sehr wichtig, überregional einen ersten größeren Akzent zu setzen. Wir haben darauf hingearbeitet und wir wollten diesen Wettbewerb gewinnen. Andererseits sind wir auch erfahren genug, zu wissen, dass wir unsere Ziele nicht mit der Brechstange realisieren können. Im richtigen Moment ist Kopf ausschalten und Vertrauen besitzen angesagt. Unsere Musik basiert auf Gefühl und Herz und weniger auf Intellekt. Das merkt das aufmerksame und sensible Publikum und es lässt sich dankbar mit auf die Reise nehmen, was uns wiederum rührt und beflügelt.
Wo soll es zukünftig mit euch hingehen?
Wir möchten gerne jede Menge Konzerte und Festivals spielen, uns in unserer selbst gebastelten Nische etablieren, viele neue Fans gewinnen und jemanden haben, der uns das Booking abnimmt. Wir brennen und sind voller Ideen und möchten schon in näherer Zukunft eine neue CD einspielen. Wir haben einen langen Atem und gehen einfach Schritt für Schritt weiter.
Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr von der Musik lebt? (bitte mit Begründung bzw. Beschreibung)
Ja, wir leben alle von der Musik und haben auch alle eine Musikdisziplin bzw. ein Hauptinstrument studiert. In meinem Fall dreht sich mein ganzes Leben um Musik. Musik spielen, üben, lernen, lehren, über Musik schreiben usw. Ohne Musik würde ich sofort zusammen plumpsen und vom Stuhl fallen. Andererseits empfinde ich das Gedankenexperiment, mir vorzustellen, ganz ohne Musik oder die Gitarre auszukommen, auch als schöne Übung, um loszulassen und nicht alles zu verbissen und ernst zu nehmen.
In Deutschland wird gern und viel Englisch gesungen und es gibt einen gewissen Anteil an Hörern, die das gut verstehen können. Wie ist das Textverständnis im Publikum bei euren Auftritten?
Die Georgier/innen im Publikum singen und feiern mit, aber die sind hier eher in der Minderheit. Natalia erklärt zu den meisten Stücken, um was es geht und so wird es dem Publikum leicht gemacht, der Stimmung des Stückes noch intensiver zu folgen. Außerdem ist die Mimik und Gestik von Natalia so packend und ausdrucksstark, dass sie schon allein dadurch eine Geschichte erzählen kann. In der Regel geht es in den Liedern um die Liebe. Das verwundert jetzt nicht, ist es doch ein bewährtes Thema, das jeder versteht. In dem Stück Tchirepuna geht es z.B. um die Haselnussernte, aber selbst da ist es der Rahmen für Neckereien in einer Liebesbeziehung.
Oder ist euch die Stimmung lediglich eine Ausdrucksform des Musischen ohne inhaltliche Gewichtung?
Unsere Sängerin Natalia übersetzt uns die Texte der traditionellen Lieder ausführlich und wir übertragen dann gemeinsam den Inhalt in die Musik. Es ist ein bisschen wie bei einem Edelstein, dem wir die passende Fassung geben. Das folgt aber nicht einem Schema und wir agieren da sehr frei, denken uns passende Melodien und Zwischenspiele aus, reharmonisieren usw.
Warum das Wechselspiel aus Improvisation und Bestehendem?
Unser Konzept besteht viel aus Laufen lassen. Ich habe mit Falk, unserem Bassisten, viele Jahre in einer Band gespielt, in der wir komplexes Material mittels Partituren geschrieben und anschließend einstudiert haben. Das war toll und hat viel Spaß gemacht, so diszipliniert alles auf dem Punkt zu spielen. Mit Cicinatela ist es nun anders und auch viel entspannter: Kein Partiturenfressen mehr, sondern sich treiben lassen, einer Idee folgen, oft über Stunden; einen A-Moll-Akkord in all seinen Farben und Schattierungen ausleuchten etc. Improvisation ist hierfür zentral, selbstvergessen neue Türen zu öffnen. Die traditionellen Melodien und Volkslieder sind in unserem Fall das Bestehende. Sie besitzen eine unglaubliche Stärke und Schönheit, die meist bereits im Kern einer einfachen Melodie zu spüren ist. Das inspiriert uns sehr. Die Mischung aus Impro und Bestehendem ist reizvoll, um die Musik lebendig und interessant zu gestalten. Unsere Stücke sind aber in der Regel recht durcharrangiert. Darin gibt es dann teils freiere Blöcke, in denen wir uns gehen lassen können. Bei uns überwiegt die Erde gegenüber der Luft aber doch recht klar.
Sollte euch etwas einfallen, dass ihr unbedingt zu euch und zur neuen CD sagen wollt, dann bitte immer her damit.
Wir sind sehr glücklich über diese Momentaufnahme unseres Schaffens. Wir haben die CD mit viel Liebe und Hingabe eingespielt und hoffen, dass sie vielen gefallen wird. Außerdem bedanken wir uns herzlich bei Euch, dass Ihr sie vorstellen möchtet.
Wirklich ein sehr schönes Interview, in dem die Band wirklich sympathisch rüberkommt. Da bin ich ja mal gespannt, wie die CD klingt.
Dann versuch es doch mal hier, Frank: http://folknews.de/zu-gewinnen-tungi-von-cicinatela/