Sie haben längst bewiesen, wie vielfältig sie sind. Nun zeigt Nobody Knows eine weitere Entwicklung und bezieht auf ihrem kommendem Album erstmals auch politisch Stellung.
Raffinierte, treffende und mit hoher sprachlicher Affinität getextete Lieder des Frontmannes Max Heckel bieten dabei nicht nur unterhaltendes über gesellschaftliche Schwächen in bekannter Selbstironie, sondern auch biografische Anekdoten und ein politisches aufmerksam machen bestehender Entwicklungen. Wir sprachen mit ihm über das Album, über https://folknews.de/wp-admin/edit.php?post_type=ai1ec_event&page=cal_ai1ec_eventWegschau-Unterhaltung und moralische Integrität.
Im Januar hattet ihr Euer 15-jähriges Bandjubiläum. Es gibt Bands, die neigen dazu in dem Fall eher ein „Best of Album“ auf dem Markt zu bringen. Ihr dagegen spielt in scheinbar grenzenloser Kreativität ein Album nach dem anderen ein. Ist euch ein Zusammenstellen erfolgreicher Lieder zu einfach?
Die Einfachheit ist nicht das entscheidende Kriterium. Wir spielen im Jahr zwischen 80 und 100 Konzerte, bei denen wir gefühlt hunderte Male die gleichen Songs spielen. Manche Lieder haben wir wahrscheinlich schon tausendfach aufgeführt. Warum sollten wir Stücke, die selbstverständlich von einer gewissen Spielroutine befallen sind, auch noch auf ein Album bringen? Wir bleiben also unser konzeptionellen Konzeptionslosigkeit treu und stellen allen bedauerlichen Routinen das uns mögliche Höchstmaß kreativer Rastlosigkeit entgegen. Best-of-Alben haftet womöglich nicht umsonst der Vorwurf „die haben wohl nichts Neues“ an?
Ihr habt in den letzten Jahren eine enorme musikalische Entwicklung vollbracht. Hört ihr selbst manchmal Lieder, bzw. seht euch Videos aus der Anfangszeit an?
Ich denke, dass ich durchaus repräsentativ für die Kollegen bin, wenn es um die Beantwortung dieser Frage geht: Wir hören uns jedes Wochenende und bisweilen auch noch unter der Woche, da muss ich uns nicht auch noch in meiner Freizeit hören. Klar, manchmal höre ich auch mal in die alten Alben und erinnere mich wehmütig an wundervolle Erlebnisse. Zudem offenbart unser erstes Musikvideo auch eine Form ungewollter Komik, die ich nun mit etwas Abstand viel besser vertrage als noch vor ein paar Jahren.
Die da wäre?
Bei unserer ersten Videoproduktion haben wir viele Dinge ganz professionell wahrgenommen, so bspw. das Ankleben von Bärten in unsere jugendlichen und haarlosen Gesichter. Der daraus resultierende Dilettantismus hat mich ein Jahr nach dem Video geärgert, heute freue ich mich darüber, weil es erfrischend naiv ist. Zudem erinnere ich mich heute anders an das Gefühl des Stolzes nach dem Dreh – weil wir uns alle mächtig wichtig gefühlt haben.
Ich kann bisher nicht sagen, ob das ein Erfolg sein wird. Bisher haben wir derartige Themen – meine moderativen Ausbrecher mal ungeachtet – zumeist vermieden. Wir sind also genauso gespannt, wie das ankommen wird.
Seht ihr in dieser Art der Musik generell ein geeigneteres Mittel, um auf Missstände aufmerksam zu machen als trockene Konfrontation mit Tatsachen?
Das kommt wohl zu großen Teilen auf die Zielgruppe an. Ich denke, dass es eine probate und wesentliche Art und Weise ist, sich mit Notwendigkeiten auseinanderzusetzen. Andernfalls wäre die Rede von Entfremdung durchaus nicht verkehrt. Ob sich die Inhalte durch die Darbietung in Form von Unterhaltung besser in das Bewusstsein drängen, kann ich bisher nicht sagen. Wir haben diesbezüglich noch Lehrgeld zu zahlen.
Euer Publikum liebt euch für dieses ungenierte Aufmerksam-Machen eigener und gesellschaftlicher Schwächen. Wahrscheinlich weil ihr auch vor euren eigenen nicht Halt macht. Gibt es dennoch ein Thema vor dem selbst ihr zurückschrecken würdet?
Grundsätzlich denke ich, dass Kritik, die an sich selbst vollzogen wird, die beste Art und Weise ist, Allgemeines festzustellen und zu monieren. Insofern klagen wir uns selbst an, was Hörern weniger schmerzlich erscheinen dürfte als ein „direkter Angriff“ – zumal uns selbiger mitnichten zusteht. Themen, vor denen wir zurückschrecken? Für uns ist es ein großer Schritt gewesen, uns überhaupt kontrovers zu positionieren, indes wir über ein Jahrzehnt einzig unterhalten haben. Inhaltlich kann ich momentan nicht sagen, wo da zukünftig die Grenze liegen wird.
Eure ironische Elastizität macht bei Auftritten auch vor Takten von Atemlos durch die Nacht von Helene Fischer nicht Halt. Warum liegt es deiner Meinung nach, dass der deutsche Schlager wieder so erfolgreich ist?
Ich weiß nicht, ob er das wieder ist – ich habe nie wahrgenommen, dass er das zwischenzeitlich nicht war. Strukturell liegen keine allzu großen Kluften zwischen Schlager, Pop und Volks- bzw. Folk-Musik, es ist also vielmehr eine Frage von Duktus, Machart und womöglich auch Gehalt. Dass fast jeder textliche Gehalt – so tief oder flach er sein mag – seine Zuhörer findet, ist nichts Neues. Setze ich zudem die momentanen Entwicklungen der Fernsehlandschaft in Relation, ist es wenig erstaunlich, dass Schlagerphrasen nie weg waren.
Zählten früher die Inhalte von Liedern mehr?
Das kann ich nicht sagen. Ich bin ja nur ein bisschen von früher. Vielleicht wurde ganz früher bewusster hingehört, weil das Angebot nicht derart ausufernd war, wie es heute ist. Könnte also sein. (Das träfe dann aber jedoch gleichermaßen für die bewusste Rezeption der Komposition zu.)
Basierend auf die aktuelle Flüchtlingssituation erleben wir eine zunehmende rechtsorientierte Bewegung in der Bevölkerung. Vermutlich auch als Reaktion aus Angst davor, alte Gewohnheiten aufgeben zu müssen. Ihr habt offensichtlich kein Problem damit alte Zöpfe abzuschneiden und zeigt im Bürgerlied ungewohnt deutlich politisches Engagement. Liegt es daran, dass ihr euch von der zunehmenden Wegschau-Unterhaltung distanzieren wollt?
Der Grund ist zweigleisig: Zum einen können wir es nicht ertragen, immer und immer wieder das Gleiche zu tun und dabei so zu tun, als fühlte es sich immer wieder frisch für uns an. Ich meine, dass unsere Diskographie diesen Umstand durchaus bezeugt. Zum anderen sind wir es leid, Teilhaber einer Entwicklung zu sein, die Missstände kultiviert und wegschaut. Nichts ist schlimmer als die Trägheit derer, die am Ende von nichts gewusst haben wollen. Es ist nicht der Umstand, dass „Sorgen“ vor dem Fremden empfunden werden, vor denen ich erschreckt-staunend „stehe“, sondern vielmehr, dass sich kollektive Selbstenttarnung als unmoralisch und Intelligenzflüchtlingstum enttarnt. Als Demokrat und Freund von Pluralismus gibt es keinen Mittelweg als den der moralischen Integrität oder anders: „Es gibt drei Dinge, die sich nicht vereinen lassen: Intelligenz, Anständigkeit und Nationalsozialismus. Man kann intelligent und Nazi sein. Dann ist man nicht anständig. Man kann anständig und Nazi sein. Dann ist man nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.“ Wir haben beschlossen, uns im Rahmen unserer intellektuellen Möglichkeiten als nicht-ungescheit und anständig zu präsentieren, was aber auch bedeutet, dass man sich offen bekennen muss.
Ich gehe also davon aus, dass das Lied auch Bestandteil eurer Bühnenshow sein wird. Befürchtet ihr ggf. verbale Attacken und Missbilligungen auf Festivals oder Stadtfesten?
Bei den wenigen Aufführungen bisher waren die neuen Stücke volle Erfolge. Bei „Der Fuchs ist schlau und stellt sich dumm, bei Nazis ist das andersrum“ gab es gar Zwischenapplaus. Wie sich diese Texte auf Stadtfesten ausnehmen werden, kann ich nicht beurteilen. Selbstverständlich bin ich nicht sorglos, da auf Stadtfesten auch Bürger der oben genannten Fasson unterwegs sind. Unabhängig von der zu erwartenden Resonanz stellt sich die Frage nicht. Die Frage ist vielmehr: Wollen wir zuschauen, uns gegen unsere Werte auf der Bühne verhalten oder sind wir standhaft genug, für Moralität und Vielfalt einzustehen?
Mit dieser musikalischen Wandlung im Rücken und dem Erfolg der letzten Jahre – verspürt ihr da Nervosität, bevor das Album auf den Markt kommt?
Die verspüre ich bei jedem Album – bei dem kommenden aber noch mehr. Dass wir uns politisch positionieren ist ein großer Schritt für uns und es wäre gleichermaßen vermessen wie blauäugig, wenn wir da nicht aufgeregt sein würden. Die Nervosität ist aber kein vornehmliches Resultat des sogenannten „Erfolgs“ sondern eher Ausdruck des unbedingten Willens nach Veränderung. Da letztgenannte per se nicht immer auf Gegenliebe stößt, ist also jedes Album ein kleines Wagnis – dieses ist es in besonderem Maße.
In dem Stück Postpubertäres Geigenspiel besingst du scheinbar eigene Erfahrungen eines Jugendlichen, der Geige lernt. In wie weit ist der Text tatsächlich an autobiografischen Gegebenheiten angelehnt?
Der Text ist nicht „angelehnt“ – er ist mein Leben. Sollten ehemalige Klassenkameraden das Lied hören, dürften sich einige darin wiedererkennen. Das Ganze ist natürlich ironisch überzeichnet, aber im Großen und Ganzen stimmt die Aussage: Alle anderen waren draußen – zum Fußball und Knutschen. Ich war zuhause oder in der Musikschule – mit meiner Geige. Und im Ernst: Gibt es für einen Pubertierenden noch Erniedrigenderes als den Versuch, über die Geige bei Mädchen zu landen?
Vielleicht ein Ballettkurs?
Das kann durchaus sein, aber damit habe ich leider keine Erfahrung. Fest steht, dass es in pubertären Zeiten erotischere Dinge gibt als Geigenspiel.
Ist es eine Herausforderung für dich Songs zu schreiben, die verschiedene Lebensphasen überdauern?
Zu jeder Phase meines Lebens habe ich gedacht, dass die Songs, die ich schreibe, für mich zeitlos wären. Dass ich mich heute für einzelne Titel schäme, kann ich nicht sagen. (Zumal wir früher auch sehr viele Texte der sogenannten Klassiker verwendet haben.) Gleichwohl kann ich mit der heutigen Distanz sehr wohl feststellen, dass da einiges bei war, was nicht unbedingt hätte geschrieben werden müssen.
Mal ein wenig weg von den Ernsthaftigkeiten. Bei welchem Lied oder bei welcher Aktion hattet ihr während der Aufnahmen im Studio am meisten Spaß?
Viele der neuen Lieder enthalten Zitate aus unserem Alltag: Da gibt es Böhmermanns „Isch hab‘ Polizei“, Anekdoten von Helge Schneider, Elsterglanz-Anspielungen, ein paar der legendären Raab-Nippel aber auch jede Menge Unsinn, mit dem wahrscheinlich nur wir etwas anfangen können. Das Lustigste war, derartige Phrasen auf dümmstmögliche Weise aufzunehmen.
Ich konnte mit viel Spaß nicht nur diese lustigen Phrasen sondern auch Wortspielereien und eigene Wortfindungen entdecken. Der Titel Political correctless wird so in keinem Duden zu finden sein. Ist es nur deiner Sprachaffinität geschuldet, oder steckt ein ernsterer Sinn dahinter?
Meine Affinität zur deutschen Sprache kann weder ich noch das Album verhehlen. Es wäre aber zu kurz gegriffen, wenn das als Selbstzweck begriffen würde. An der Uni erlebe ich immer wieder müßige Kontroversen, so bspw. ob man „Student“ sagen darf, weil das ja dem männlichen Geschlecht zugeordnet ist. Politisch korrekt ist „Studierende“, weil es geschlechtsneutral ist und damit auch niemanden ausgrenzt. Ich finde derartige Diskussion zumeist ziemlich lächerlich. Papa hat die Phrase „political correctness“ zu „political correctless“ umgedichtet, was ich dankend aufgegriffen habe, um deutlich zu machen, dass man nicht permanent genderfrei sprechen muss. Schlussletztlich sagt jedes Wort etwas Bestimmtes, was alle anderen bestimmten Dinge eo ipso ausschließt, andernfalls liefe man Gefahr, gar nichts mehr zu sagen. Meines Erachtens schafft das Lied die Gratwanderung zwischen Unterhaltung / Mitmachen und dem Transport dieses Inhalts.
Welche Geschichte steckt hinter den „First-Take-Eiern“?
Im Waldhausstudio bei Mohi Buschendorf gibt es den Brauch, dass wenn eine Aufnahme beim ersten Mal perfekt klappt, es das sogenannte First-Take-Ei für den Einspielenden gibt. Gesetzt den Fall, ich spielte ein Solo reibungslos, wohlartikuliert und sauber beim ersten Versuch ein, gibt es von Mohi das besagte Ei – ein Überraschungs-Ei von besonderem emotionalem Wert. Ich vermute stark, dass unser First-Take-Ei eher etwas wie eine wohlwollende Geste ist. Wenn man sieht, wer sonst in diesem Studio aufnimmt, dann stehen uns die Eier eigentlich zu. Aber Mohi hat sich erbarmt und nach drei eilosen Jahren endlich einen Traum für uns wahrgemacht.
Verrätst du uns heute schon den Titel des Albums und die Geschichte dahinter?
Das Album wird unter dem Namen „Urbane Camouflage“ veröffentlicht. Damit schließen wir – das lokale Milieu betreffend – an die „Kleinstadtrhapsodien“ an. Grund dafür ist natürlich auch, dass das Umfeld, das mich umgibt, auch am meisten prägt, was meines Erachtens auch so manchem Text anzuhören ist. Im städtischen wie auch jedem anderen sozialen Raum nehmen wir Rollen an – und maskieren uns. Name und Cover werden auf eine Form von Demaskierung anspielen, die ebendiese Rollen beleuchtet.
Vor der Veröffentlichung des Albums am 01.07. wird auch dein nächstes Buch am 03.04. vorgestellt. Bedeutet das, diese beiden Veröffentlichungen ergänzen sich?
Mein neues Buch enthält sowohl die überarbeiteten Fassungen der Texte seines Vorgängers („So Sachen halt“) als auch 16 neue Texte. Dass es bisweilen inhaltliche Überschneidungen gibt, dürfte insofern nicht allzu sehr überraschen, dass ich sowohl die Songs als auch das neue Buch Anfang Januar geschrieben habe. Allerdings ist die Perspektive beider Produktionen grundsätzlich verschieden: Das neue Album beobachtet zumeist im Umfeld, das Buch ist der Enttarnung eigener Defizite gewidmet.
Zum Schluss vielleicht noch ein kleiner Ausblick auf die kommenden Projekte von Nobody Knows? Ich bin mir sicher, ihr plant bereits das nächste.
Zum neuen Album planen wir zwei Musikvideos – eines mit Gewicht, eines zur reinen Unterhaltung. Unser Terminkalender lässt kaum noch zusätzliche Projekte zu, weil wir bis Ende des Jahres fast ausgebucht sind. Geplant ist dennoch die Fortsetzung des Kurt-Tucholsky-Programms, womöglich mit einem besonderen Fokus auf „Tucholsky und die Frauen“. Für die Weihnachtskonzerte müssen wir ein komplett neues Programm schreiben, im Oktober steht noch ein Polka-Festival unter meiner Federführung an, die Projekte mit dem Theater der Altmark sind bisher noch offen und ich selbst arbeite an einem kleinen Projekt mit eigenen und deutschen Volksliedern, das ich mit Chapeau angehen werde. Was noch hinzukommt, kann ich bisher nicht absehen, fest steht jedoch, dass keine Langeweile aufkommen wird.
Erst kluge Fragen lassen Interviews zum Erlebnis werden. Großen Dank an die Mitwirkenden in diesem Dialog!
Gern! 😉
Das ist wirklich ein tolles Interview.Die Fragen sowie die Antworten von Max sind interessant. Ich kann es kaum erwarten, das neue Album zu hören. Der heutige Wahltag wird die Wahrheit ans Tageslicht bringen, wie viele “Hohlköpfe“ für die falsche Partei gewählt haben. Respekt an Max und seine Band, die die drei Dinge, die sich nicht vereinbaren lassen, auf den Punkt bringen.Ich bewundere euch!, und bin wahnsinnig gespannt auf das nächste Konzert.
Das Resultat der sonntäglichen Wahl ist – gelinde gesagt – ernüchternd. Fast ein Viertel … mehr bleibt in der gegenwärtigen Schockstarre nicht zu sagen.