Es ist gerade mal ein gutes Jahr her, dass die Standaler Band Nobody Knows ihr folkorientiertes Album Kleinstadtrhapsodien auf den Markt gebracht haben. Jetzt vereinen sie mit ihrem aktuellen Album Drei Minuten Gehör Lyrik und Musik, schaffen dabei ein Kunstwerk aus Sprache, Melodie und Lesung mit Gedichten von Kurt Tucholsky und zeigen mal wieder ihre Vielseitigkeit. Max Heckel sprach mit uns über das Album, kreative Erleichterung und konzeptionelle Konzeptionslosigkeit.
Am 07.11.15 erscheint euer Album „Drei Minuten Gehör“ mit vertonten und gelesenen Gedichten von Kurt Tucholsky. Es gab schon einmal ein Projekt in Form von Gedichten, Geschichten und Musik von Nobody Knows „Wenn Worte leuchten“. Was reizt euch an dieser Kombination?
Grundsätzlich kann ich natürlich nicht verhehlen, dass ich eine Affinität zu Lyrik habe – das mag ein nicht unwesentlicher Faktor sein. Dennoch sind es ebenso und nicht minder maßgeblich die personellen Konstellationen, die immer wieder in neue Projekte führen. Bernd Marquardt, ehemaliger Schauspieler und Sänger am Theater der Altmark, sprach mich vor drei Jahren bei der Stendaler Kulturpreisverleihung an. Es stand fest, dass wir ein gemeinsames Projekt angehen wollten. Ursprünglich wollten wir ein Cash-Programm machen, aber durch eine Eingebung von Bernd haben wir uns dann für Tucholsky entschieden. In der Schule hatte ich Tucholsky nie, während des Studiums auch eher am Rande. Dass ich die Zeitlosigkeit seiner Inhalte sowie die Ästhetik seiner Texte kennengelernt habe, liegt also maßgeblich an Bernd.
Tucholsky war einer der bedeutendsten, engagiertesten und meistgelesenen Autoren in der Zeit der Weimarer Republik. 1933 verboten die Nationalsozialisten seine Bücher, verbrannten sie und bürgerten ihn aus. Ihr selbst seid bisher unpolitisch auf euren Alben unterwegs. Ändert sich das mit diesem Album?
Die bisherigen Alben waren größtenteils reine Unterhaltung, was für sich genommen nichts Schlechtes ist. Nun bin ich aber an einem Punkt angelangt, an dem mir klar geworden ist, dass Formen des Schweigens immer Ausdruck der Zustimmung sind, die darin enden, dass man Ende verkünden muss, von alledem doch nichts gewusst zu haben. Derzeit sind Ausdrücke wie „nationale Identität“, „kulturelles Erbe“ und „ich habe ja nichts gegen, aber“ derart salonfähig geworden, dass wir in Tucholsky eine Ausdrucksform gefunden haben, die es uns ermöglicht, gegen den Mythos der Gemeinschaft Stellung zu beziehen. So heißt es bspw. in „Park Monceau“: „Und ruh‘ von meinem Vaterlande aus“, was mir aus dem Herzen spricht. Ich erfreue mich häufig der deutschen Sprache, weil es eben diejenige ist, die ich mit Abstand am besten beherrsche, nur leite ich aus diesem Umstand weder einen Hoheitsanspruch „nationaler Identität“ ab noch lasse ich diesen Gedanken zu anderen Formen von Gemeinschaftsidiotien pervertieren. Das kommende Album wird also mehr als Unterhaltung, denn es wird, durch die Auseinandersetzung mit zeitlosen Inhalten und Kritikwürdigem, eine Auseinandersetzung mit den momentanen Missständen der „ich-bin-gewiss-kein-aber“-Sager.
Das Gedicht „Drei Minuten Gehör“ scheint dem Album nicht nur seinen Titel zu geben, sondern ist auch das einzige Lied, in dem das ursprüngliche Gedicht lediglich instrumental arrangiert wurde. Warum?
Das Gedicht ist ein leidenschaftliches Plädoyer gegen Gewalt und Krieg, zudem klingt es als Namensgeber auch sehr fein. Es gibt natürlich Inhalte Tucholskys, die einzig unmittelbar in seiner Zeit zu verorten sind. Da wir aber die Grundaussage „Nie wieder Krieg“ teilen, haben wir dem Stück zwar seinen Titel geliehen, nicht jedoch die konkreten Inhalte in ihrer Textform – vielmehr ist dieses Instrumentalstück eine Übersetzung dessen, was ich zwischen den Zeilen lese.
Welche Idee steht dahinter die Titel „Der Graben“ und „Wenn die Igel in der Abendstunde“ sowohl von dir als auch von dem Sprecher Bernd Marquardt gesangstechnisch umzusetzen?
Die CD ist die Umsetzung des Live-Programms „Drei Minuten Gehör“, das wir seit 2014 mit Bernd bestreiten. Im Programm wechseln Bernd und ich uns im Gesang ab, was auch auf der CD umgesetzt werden sollte. Da aber die neun Lieder aber alle aus meiner Feder stammen, wollte ich sie auch gern singen, daher waren die Bonustitel mit Bernd ein guter Kompromiss.
Neben der folkloristischen Säule basiert Euer Spektrum noch auf ein Lyrikprogramm, zunehmend auf Eigenkompositionen und eben diesen Sonderprojekten wie im vorliegenden aktuellen Album. Andere Künstler legen sich Pseudonyme an, um sich ungeniert und vielleicht auch ohne Konsequenzen in einem anderen Genre austoben zu können. Habt Ihr keinerlei Bedenken in die Richtung, dass euch Folk-Fans abtrünnig werden, wenn ihr poetisch werdet?
Die Produktion des Albums ist nur aus einem Grunde möglich gewesen: Wir haben über das Jahr gut gewirtschaftet und konnten uns daher den Luxus eines Sonderprojektes gönnen. In den warmen Monaten, das heißt zwischen Ende März bis Mitte Oktober, sind wir auf Stadtfesten und Festivals unterwegs und spielen fast ausschließlich Titel aus unserem Folk-Programm. Gleichwohl die vielen wundervollen Momente bei derartigen Auftritten positiv ins schwerste Gewicht fallen, ist es uns als Band doch zu eindimensional, immer und immer wieder die gleichen Songs zu spielen. Wir gönnen uns diesen Luxus also nicht nur finanziell sondern insbesondere aus kreativem Antrieb. Kreativen Stillstand ertrage ich nicht, was unter anderem auch zu dem Projekt Chapeau (www.Chapeau-Band.de) geführt hat. Wir sind mittlerweile bei einem Selbstverständnis angekommen, das eben nicht ausschließlich eines des Dienstleistens an einem feiernden Publikum ist sondern eben auch eigene Nebenbedürfnisse tilgt: Eines dieser Bedürfnisse ist es auch, bisweilen Programme aufzuführen, die kreativ wie intellektuell anspruchsvoller sind, die uns von einer anderen Seite zeigen und in denen wir kreative Erleichterung erfahren. Schlussletztlich sind wir nur die konsequente Umsetzung unserer Charaktere: Wer hört denn privat ausschließlich eine Band und immer und immer wieder die gleichen Lieder? Jeder Mensch sehnt sich in gewissen Belangen nach Abwechslung. Wenn Nobody Knows nicht mehr die Möglichkeit hätte, dieses ureigene Interesse umzusetzen, wäre das auch das Aus unseres gemeinsamen Weges, weil wir die natürliche Dynamik unserer sich verändernden Charaktere einfach brauchen. Ich denke, dass die Fans durchaus wissen, welches Programm sie besuchen. Wenn es nun aber jemanden enttäuscht, dass wir uns nicht vereindimensionalisieren lassen, dann ist das zwar schade, aber es steht ja jedem frei, zu Auftritten zu kommen oder eben nicht.
So gesehen ist Eure ursprüngliche Eigendefinition der Musikrichtung als „postmoderne, bundesrepublikanische Folklore mit nordwesteuropäischer Note und ostokzidentaler Rhythmik“ eigentlich hinfällig. Gelingt es dir die aktuelle Band Nobody Knows in zwei Worte zu fassen?
„Konzeptionelle Konzeptionslosigkeit“, das ist es. Wir definieren keinen Rahmen für unser Wirken sondern halten uns alles offen. Das heißt, wir verzichten auf stilistische und inhaltliche Statik, demnach sind wir „konzeptionslos“, dies jedoch als bewussten Akt, was die „Konzeptionslosigkeit“ jedoch als Prinzip – „konzeptionell“ – ausweist.
Als grandioser Satiriker war eine Fundamentalregel Tucholskys „Das Leben ist gar nicht so. Es ist ganz anders.“ Wenn man die Entwicklung Eurer Alben verfolgt, bekommt man den Eindruck, Ihr habt Euch dieses Motto ebenfalls auf die Fahne geschrieben. Eben nur „Die Musik von uns ist gar nicht so. Sie ist ganz anders“ Eine zufällige Überschneidung, oder wie kommt es, dass ihr euch mit jedem Album immer wieder neu erfindet und keines dem anderen gleicht?
Dass sich dir dieser Eindruck aufdrängt, schmeichelt mir einerseits, denn besagte Statik ist, was wir unbedingt vermeiden wollen, anderseits hoffe ich, dass in allem Hin und Her zwischen den Alben doch durchaus so etwas wie ein roter Faden zu finden ist. Ich denke, es gibt zwischen den Alben immer wieder Parallelen, die aufgegriffen, zum Teil aber auch bewusst gebrochen werden. Dass wir das nicht von Tucholsky haben können, liegt allein schon daran, dass es uns als Band schon länger gibt als meine Auseinandersetzung mit seinem Werk.
Welche Rolle spielt bei dem Ganzen Authentizität?
Ich bin kein Freund des Ausdruckes „Authentizität“, weil ich weder weiß, was genau er streng genommen meint, noch, ob es diese Seinsform überhaupt gibt. Unterstelle ich aber mal eine terminologische Weite im umgangssprachlichen Sinne und zudem, dass es derartiges gibt, dann möchte ich schon meinen, dass wir eine authentische Band sind. Wir treten zwar in Dresscode auf, aber ansonsten meine ich, dass die Inszenierung als Band gar nicht vonnöten ist, weil wir auf der Bühne ebenso agieren, wie wir es untereinander machen. Ich glaube, Veränderung ist authentisch, und dazu die Fähigkeit, sich trotz aller Veränderungen, ohne Einbuße der eigenen und von anderen zugesprochen Glaubwürdigkeit dennoch als der- bzw. dieselben behaupten zu können. Gleichwohl ich behaupten würde, dass wir weder kreativ-stilistisch noch inhaltlich festgefahren sind, würde ich unterstellen, dass es Konstanz in unserem Wirken gibt. Dass darunter auch Veränderungen fallen, subsummiere ich mal unter „konzeptionelle Konzeptionslosigkeit“.
Es gibt Musiker, die sich beim Singen vorstellen, sie sitzen am Küchentisch und unterhalten sich mit dem Partner. Siehst du Gesang auch als Konversation?
Wenn „Konversation“ in diesem Falle als „Interaktion“ zu verstehen ist, dann würde ich zustimmen. Im eigentlichen Sinne natürlich nicht, denn ich singe ja nicht in inhaltlicher Beliebigkeit im Wechsel mit dem Publikum. Dennoch bedeutet uns das Musikmachen integral so etwas wie die Notwendigkeit eines Miteinanders mit dem Publikum. Wenn das Publikum nicht in Wallung kommt, liegt das an uns als Band, und dann macht auch der Auftritt meist nur wenig Spaß. Natürlich musizieren wir auch als Musiker miteinander, aber am liebsten haben wir mit dem Publikum Spaß – und das funktioniert nur dann, wenn das Publikum auch mitmacht.
Um kurz bei der Konversation zu bleiben: Auf euren üblichen Konzerten nehmt ihr Euch gerne selbst auf die Schippe und auch das Publikum wird mit Freude eingebunden. Gab es dafür nach dem Konzert schon mal die sprichwörtliche Bratpfanne über den Kopf?
Für mich gibt es jedes Jahr ein paar satte Bratpfannen über den Kopf. Das liegt zum einen daran, dass manchen Menschen die Diskrepanz zwischen Bühnen- und Privatperson nicht gewahr ist, zum anderen selbstverständlich daran, dass mir mancherlei Moderationen ordentlich entgleiten. Ich bin darüber nicht glücklich, kann es aber nicht besser. Es gibt Bands / Musiker, die bei jedem Auftritt das Gleiche erzählen können und man nimmt es ihnen auch ab, dass es grade erst erfunden wurde und wahnsinnig spontan ist. Ich kann das nicht. Ich kann keine Spontaneität suggerieren und bin diesbezüglich viel zu wenig Schauspieler als dass ich das als authentisch verkaufen könnte (der Widerspruch zwischen „authentisch“ und „verkaufen können“ ist mir gewahr). Verfangen im gedanklichen Inselspringen gelingen mir bisweilen recht ordentliche Moderationen, manchmal geht das aber auch gehörig ins Auge – insbesondere dann, wenn beim Empfänger kein ausreichend hohes Maß an ironischer Elastizität vorliegt. Die Kollegen dürften nur recht selten eine Pfanne abkriegen, dafür kriege ich selbige umso häufiger via Mail übermittelt.
Ein Vorteil unseres digitalen Daseins ist auch, dass wir qua Facebook & Co. sehr schnell ein breites Publikum erreichen können. Diese Kommunikationsform ist nebst der eigentlichen Resonanz bei Auftritten zum Katalysator von zwischenmenschlichen Beziehungen geworden. Wir sind in der glücklichen Situation, dass wir einen harten Fan-Kern haben, der zum Teil meiner Wahlverwandtschaft gehört. Jede Band mag von sich behaupten, dass die „eigenen“ Fans die besten sind – wir schließen uns diesem Klischee an, jedoch in einem Modus vollkommener Aufrichtigkeit. Das, was wir live erleben dürfen, funktioniert sogar im digitalen Äther, d.h. echte Anteilnahme und Teilhabe am Alltag unserer Formation. „Augen in der Großstadt“ ist also ein symbolischer Akt, etwas von dem zurückzugeben, was wir jedes Wochenende von unserem Publikum, Bekannten und Freunden erhalten. Und da unsere Fans nicht in Gold aufzuwiegen sind, kann dieser Akt einzig eines sein: Ein Symbol des Dankes.
Eines meiner Favoriten des Albums ist „Wahre Liebe“. Für ein Liebesgedicht beinhaltet es unerwartete Textpassagen. Ich will sie jetzt nicht verraten, aber die Umsetzung davon muss Euch doch unglaublich Spaß gemacht haben?
Die Umsetzung hat natürlich Spaß gemacht, das steht außer Frage. Aber das betrifft die anderen Stücke gleichermaßen. Wenn ich Musikmachen als Routine empfände oder mich einzig den Diktaten von Wirtschaftlichkeit und Konsuminteresse gebeugt hätte, würde ich die Musik an den Nagel hängen. Mein – nein, UNSER – erster Antrieb, gemeinsam Musik zu machen, bleibt die Freude an der Musik. Wir sind also Vollzeithedonisten – und ich bin sehr stolz darauf.
Wird es zukünftig weitere Projekte/Alben mit Lesungen geben?
Nein, das ist kategorisch ausgeschlossen. Wir haben nun zwar ein Album produziert, das sowohl Lieder als auch Sprechtexte enthält, aber damit muss nun endlich mal Schluss sein. Man kann solche Projekte einfach nicht zu lange laufen lassen, insbesondere dann nicht, wenn man grade über drei Monate an einem Album gearbeitet hat. Um mich klassischen Kommunikationsnotwendigkeiten zu beugen, ergänze ich hier noch: 😛 Und nun im gebotenen Ernst: Ja, es wird auch weiterhin derartige Projekte geben. Welches das konkret sein wird, muss die Zeit mit sich bringen. Eines ist gewiss: Niemals Stillstand.
Authentizität pur. Genauso kennen und lieben wir euch. Freue mich schon sehr auf das neue Album.
Manuela
Das freut mich sehr!