Unlängst wurde das namenlose Debütalbum der Formation JÜTZ vorgestellt. Nun spricht Daniel Woodtli über sein alpines Selbstverständnis, Freiheit und Heimat, die Vor- und zu umschiffenden Nachteile von Improvisation in der Musik, aber auch über Dasein als Musiker, alltägliche und schöne Erlebnisse und was das Leben so ausmacht. Viel Spaß mit diesem sympathischen Musiker.
Gemäß dem ewigen Motto „Nomen est omen“ würde ich gern wissen, was sich hinter eurem Namen verbirgt, und inwiefern dieser Gehalt typisch bzw. symptomatisch für eure Musik bzw. euer Selbstverständnis ist.
Ein Jützli ist ein Jauchzer, oder Jodler, und hier ist unser Nomen nicht wortwörtlich Omen. Aber im übertragenen Sinne bedienen wir uns schon explizit der alpinen Folklore. Diese im mitteleuropäischen Raum überlieferte Musik reicht teilweise bis ins Mittelalter zurück, wie etwa das Stück „Innsbruck, Ich muss Dich lassen“. Aus dem freigeistlichen, respektvollen Umgang mit diesen Überlieferungen beziehen wir unsere Identität. Bei uns wird gejodelt, gezupft, kaschiert, verfärbt und improvisiert.
Apropos Selbstverständnis: Sich folkloristischer Weisen anzunehmen, gilt bisweilen als Ausdruck übermäßig patriotischen Empfindens. Inwiefern ist eure Herkunft auch Anlass dieses Albums?
Wichtig ist sicher, dass wir mit Isa Kurz, Philipp Moll (beide aus Tirol) und Daniel Woodtli (aus der Schweiz) kulturell einen tollen Bogen spannen. Das zeigt sich schon in einem ersten Blick auf die Innenseite unseres 2015 erscheinenden Debutalbums. Wir vermerken bedacht, aus welcher Region die jeweiligen Stücke entstammen. Was dabei spannend ist: trotz einer enormen Ost-West-Spanne des Alpenraumes taucht immer wieder mal dieselbe Melodie oder ein definitiv sehr nah verwandtes Stück Musik auf: beispielsweise das nur in unserem YouTube-Video veröffentlichte „Het i di“, das man in Kärtner Liederbüchern genauso findet wie in der Schweiz. So gesehen überschreiten wir die veralteten Grenzen der Nationalstaaten und interessieren uns bewusst für lokale Regionen. Das erlebt man bei uns auch live, wenn wir Stücke aus der jeweiligen Ortschaft oder Gegend spontan in unserem Programm integrieren – sehr zur Freude des Publikums. Wir sehen in unserem Schaffen demnach gar keine Gefahr von übermäßig patriotischem Empfinden, eher betonen wir ein respektvolles Miteinander, eine gegenseitige Wertschätzung im Alpenraum.
Gemäß eurer Selbstbeschreibung treibt euch die Rastlosigkeit an, die wohl vornehmlich als kreative verstanden werden darf? Aber auch lokal seid ihr enorm umtriebig. Wie lassen sich Musikerdasein (mit all seinen Ansprüchen von Freiheit und Kreativität) in pragmatische Muster, die für Organisation, Planung und Durchführung von Projekten und Bandreisen notwendig sind, gewinnbringend verbinden? Oder schließt ihr das kategorisch aus?
In Organisation, Planung und Durchführung von Projekten und Bandreisen muss man sehr kreativ sein, zumal wir ja untereinander nicht immer deckungsgleiche Freiräume haben um zusammenzukommen. Wir betreiben dieses Ensemble auf höchstmöglichem Niveau, sowohl was den künstlerischen Anspruch betrifft wie auch die logistische Planung. Anders geht das in einem professionellen Umfeld gar nicht. Jeder von uns dreien genießt das Privileg, durch eine musikalische Tätigkeit sein Leben zu finanzieren. Die Strukturen in diesem Berufsfeld sind sehr unkonstant. Wer nicht überlegt wie man sich gegenüber dem künstlerischen Umfeld positioniert gerät schnell in eine Schublade. Dieser Prozess ist konstant am Laufen, auch weil sich der Rahmen, das Business konstant ändert. Das meinen wir mit „nicht stehen bleiben“: aktiv und mit Interesse auf unsere Welt einzugehen und sie in unserer Musik zu integrieren. Es stimmt sicher, dass man in manchen Überlegungen pragmatisch agieren muss – und gerade dann, wenn eine Entscheidung richtig war, entsteht dieser enorme Freiraum in dem wir uns frei und kreativ bewegen können: im Konzert, in Proben, im Dialog, in der Weiterentwicklung unserer Musik.
Eure Musik enthält sowohl traditionelle Klänge, die anheimelnd und problemlos ins Ohr gehen. Anderseits erklingen bisweilen „jazzeske“ Kreationen, die dem (ungeschulten) Hörer weniger bekömmlich sind als die zuvor genannten. Welches Publikum sprecht ihr mit eurer Musik an und welches wölltet ihr erreichen?
Nach einem unserer Konzerte vergangenen Sommer kam ein älterer Herr auf uns zu und meinte: „An unserem Tisch saßen drei Generationen unserer Familie. Ihr habt es zustande gebracht, mit eurer Musik Menschen unabhängig von Alter und Präferenz zu berühren.“ Das war sicher eines der tollsten Komplimente, das wir in unserer gemeinsamen Zeit bekommen haben. Es zeigt, dass unsere Musik das Potenzial hat, sich über stilistische Vorlieben hinwegzusetzen. Es bedeutet für uns auch ultimativen Freiraum, was die Gestaltung unserer Musik betrifft. Ein Schlagerstar oder Popstar ist durch die Vorliebe seiner Fans zu diesem spezifischen Genre, oder einem Hit, auf ewig an die ständige Wiederholung seines eigenen Klischees gebunden. Diese Vorstellung ist für Kunstschaffende grauenhaft, und einem Anspruch auf Weiterentwicklung diametral entgegensetzt. Dieser Gefahr setzen wir uns ganz bewusst nicht aus, und es scheint zu klappen: ein klassischer Dirigent hat genauso wenig Berührungsängste mit uns gemeinsam Sache zu machen wie ein Blasorchester, ein Jazzposaunist oder ein Hüttenwirt. Hoffentlich bleibt das so.
Wie seid ihr zusammengekommen und was eint euer kreatives Beisammensein, das über das Kreative hinausgeht? Hat sich an eurem Schaffen etwas verändert und was sind die maßgeblich antreibenden Impulse? Wo soll die Reise hingehen?
Als Philipp nach über einer Dekade als freischaffender Bassist im UK von London nach Bern übersiedelte, hatte er bereits Jahre zuvor mit Isa und Daniel in anderen Projekten gemeinsame Sache gemacht; mit Daniel vor allem im Bereich der freien Improvisation. Die Idee, diesen geographisch und kulturell einschneidenden Umzug musikalisch umzusetzen lag eigentlich auf der Hand und Isa war die absolute Wunschkandidatin, eine Trio-Formation entstehen zu lassen. Man traf sich bei Isa in Tirol und jeder brachte fünf Stücke zum Jammen mit. Es klickte sofort – nicht einmal drei Monate später hatten wir bereits ein Video und die ersten Konzertanfragen. Von da an geriet alles ins Rollen.
Bisweilen erlangt euer Klang eine nahezu brachiale Subtilität. Ist eure Musik einem Gedankenstrom, stream of consciousness, gleich? Oder ist alles spontan-Wirkende Teil einer guten Inszenierung?
Das Improvisieren, also der spontane, freie Zugang zur Musik ist uns sehr wichtig. Dadurch sind wir in der Gestaltung unserer Konzerte sehr frei. Klar mussten wir uns überlegen, wie wir dieses spontan-Wirkende auf einen Tonträger bekommen. Auf Abruf einen magischen Moment zu erzeugen gelingt auch den größten Künstlern nur selten. Ergo war ein Mittelweg, jedoch ohne Kompromisse einzugehen, nötig. Die Idee mit dem Gedankenstrom stimmt wohl, auch wenn wir das nicht so formulieren würden. Diese Art des Musizierens versuchten wir immer wieder während der Aufnahmen festzuhalten. Darauf folgte allerdings beinahe ein Jahr der Geduld, dieses Material klanglich weiterzuentwickeln und ihm die endgültige Form zu geben. Das war wichtig, aber auch ganz schön anstrengend. Wenn man ein Stück mal in über zehn Varianten gehört hat, braucht es schon ein paar zusätzliche gute Ohren, auf die man sich im Entscheidungsprozess verlassen muss. Unser Co-Produzent Dizl Gmünder und unser Mischer in Norwegen, Hakon Holmas, haben hierbei äußerst wertvolle Arbeit geleistet und haben großen Anteil am Gelingen unseres Albums.