Mit ihrem aktuellen Album, „Die lasterhaften Balladen des François Villon“, präsentieren die Sängerin, Schauspielerin und Regisseurin Claudia Dylla und ihr Partner Steffen Sauer eine leidenschaftliche Hommage an den französischen Radikaldichter Villon. Über dessen Wesen, die Übersetzungen von Paul Zech und die musikalische Inszenierung eines solch gewichtigen Autors haben und beide Künstler Rede und Antwort gestanden.
Was ist das Besondere am Lyriker Villon? Warum seine Sprache? Oder ist es eher die Wahl seiner Biographie und Popularität?
Dass er keinen Schreibtisch hatte, vermutlich nicht einmal ein Bett … Dass er einen beträchtlichen Teil seiner Werke im Kerker schrieb, dass er ein absoluter Grenzgänger war, vielleicht würde man ihn heute einen Borderliner nennen, weniger als Krankheitsbild sondern vielmehr ein Kind einer Kranken, desaströsen und unvereinbaren Gegensätzen von sattgefressenem, überversorgtem, bigotten Hochadel mit seiner istrumentalisieren Kirche – und einer anderen Welt des sittlichen Verfalls, unsäglichen Elends, der Hungersnöte, der Plünderung und des sozialen Abgrunds! Und noch etwas an ihm ist besonders: Er hat jedes seiner Worte gelebt, seine Texte sind fühlbar authentisch. Villon ist eben nicht populär, oder besser, nicht mehr, natürlich gibt es immer die „Insider“, die man in den Jazzkellern, im Literaturcafè oder auf Mittelaltermärkten trifft. Das ist eher eine kleine Zahl von Leuten, die ohnehin couragiert genug sind, sich dem Einfluß der öffentlichen Meinung entziehen und dem eigenen Verstand mehr Vertrauen schenken als dem, was gerade angesagt ist. Wirklich bekannt oder populär ist ein Autor dann, wenn er gesellschaftlich anerkannt ist, wenn er, und dies sollte man einem Dichter wohl nach 500 Jahren, so er bisher nicht verschollen ist, doch zuerkennen. Jedenfalls hat Villon der Nachwelt ein Werk geschenkt, welches uns schwindelerregende Wahrheiten und Gedankengänge offenbart, die ihn zum geistigen Vater der Reformation und einen Visionär einer menschlicheren, liebevolleren, und freieren Gesellschaft erhebt. Seine Sprache ist schonungslos, verwegen, brutal und zart zugleich.
Ihr überschreibt eure CD mit dem Prädikat „Villon“, dabei sind einige Texte wie bspw. „Eine kleine Liebesballade, gedichtet für Jean de Quee“ gar nicht von Villon sondern von Paul Zech. Was war der Anlass dafür?
Die lasterhafte Lieder und Balladen sind definitiv keine unmittelbaren Übersetzungen von Villon, sondern ausgewiesene Nachdichtungen. Zum einen hat Zech es verstanden, den Sinn, das Anliegen und die Seele des Dichters zu erfassen, das Altfranzösiche, welches nicht einmal ein heutiger Franzose zu lesen versteht, seine Grundgedanken und Metaphern für eine deutsche Leserschaft erschließbar zu machen und obendrein in eine geschmeidige, leichte und lustvolle Reimform zu setzen. Genau genommen ist der Text“ Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund “ nicht von Villon, keine einzige Passage. Aber es ist meisterhaft geschrieben- ein Liebesgedicht, lustvolle, poetisch. Dieses Gedicht macht Lust auf Sex, und doch ist es umschrieben und … wunderschön. Und warum sollte Zech, der seine Nachdichtungen nicht leugnet, ein eigenes hinzu fügen?
Habt ihr euch bewusst für die Zech’schen Übersetzungen und Nachdichtungen entschieden?
Wir haben uns bewusst für Paul Zech entschieden, da wir eine deutsche Version für ein deutsches Publikum wollten. Eine Eins -zu – Eins- Übersetzung würde unser Publikum nicht erreichen. Lyrik ist in der Übersetzung ohnehin ein Problem, es ist immer die Handschrift des Übersetzers drin. Zech trifft die Stimmung, den Ton, erzählt Villon Geschichten, diese berühren, darauf kommt es an.
Was haltet ihr von den Kinski-Interpretationen?
Schwierig zu sagen. Kinski war auf seine Weise authentisch, ein großartiger Mime. Es ist eine Frage des persönlichen Geschmacks, ob man seine Villon – Interpretationen mag. Eben das Schöne, es wird bei Kinski leicht unappetitlich. Sein „Erbeermund“ löst bei mir eher Fluchtgedanken aus. Und es ist die gesamte Auffassung dieses vielschichtigen Franzosen doch sehr subjektiv und eindimensional gestaltet. Es geht bei Villon nicht um Selbstdarstellung, Kinski handelte da wohl aus eigener seelischer Not … für uns eher Anlass, zu schauen, wie wir es auf keinen Fall machen wollen. Villon hatte Themen, von denen jeder Leidende, jeder Liebende, jedes Opfer einer korrupten Lebenswert betroffen ist.
Wie entsteht die Musik zu den Texten?
Oh das war der größte Spaß für uns. Wir ergänzen uns da schon mal mit unseren Ideen sehr gut. Wir haben beide eine starke Intuition. Hinzu kommt ein fundiertes Musikstudium. So liefert Claudia die Kompositionen, Steffen die Rhythmen und Klänge. Die Grenzen zwischen uns sind fließend. Uns verbindet darüber hinaus ein ausgeprägter Spieltrieb … Man könnte es auch akademisch ausdrücken: wir sind beide mit einer enormen Experimentierfreudigkeit ausgestattet…:) Und nicht zuletzt die vielmals unterschätzte Drehleier bietet da viele musikalische Möglichkeiten.