Offiziell am 16.06.2011 gegründet, wird die Folkmusikschule Halle / Saale (FMS) schon bald ihren dritten Geburtstag feiern können. Dies ist Anlass genug, um über Gründung, Veränderung und Visionen mit Jan Oelmann (Dozent für Fiddle, Akustikgitarre, Ensemble an der Folkmusikschule) zu sprechen:
Euer selbst erklärtes Ziel ist es, euren Schülern Zugang zu der „mitreißenden Musikform“ des Folk zu ermöglichen. Warum Folk? Vivaldi oder Brahms sind doch ebenso dazu befähigt, mitzureißen, oder?!
Ja natürlich, aber an Musikschulen, die klassische Musik unterrichten gibt es nun wirklich keinen Mangel. Alle Dozenten an der Folkmusikschule sind natürlich Folkmusiker. Wir unterrichten eben die Musik, die wir auf professionellem Niveau spielen können, und das ist nun mal traditionelle Musik aus Irland, Schottland und den USA.
Wie seid ihr musisch sozialisiert? Habt ihr selbst klassischen Unterricht erfahren (ich ignoriere bei dieser Frage, die Mär des notenunkundigen Auenlandflötisten)?
Das ist glaube ich, bei jedem unterschiedlich. Ich selbst habe erstmal klassischen Violinenunterricht gehabt. Ich will mal so sagen, es hat mir auch nicht geschadet. Für Folkmusik habe ich mich aber sehr bald interessiert – mit dreizehn. Ich habe mir dann Folk-Noten in der Stadtbücherei ausgeliehen und die eifrig nachgespielt, so wie ich das aus meinem klassischen Unterricht gewohnt war. Klang am Anfang alles ein bisschen nach Etüde. Irgendwann ist mir dann gedämmert, das das Entscheidende nicht in den Noten steht. Das lernst du nur übers Gehör, von guten Spielern und Aufnahmen. Ich habe mir dann auch sehr gute Lehrer gesucht, etwa All-Ireland-Champion Aoife Ní Bhríain (Riverdance). Es ist übrigens durchaus keine Mär, dass viele herausragende Folk-Musiker keine Noten verwenden. Dafür funktioniert deren Gehör umso besser: Geübte Folkmusiker hören eine Melodie ein, zwei Mal und können Sie sofort auf Ihrem Instrument wiedergeben – und bei der nächsten Wiederholung variieren.
Was ist – neben eurer stilistischen Ausrichtung – das Novum eurer Musikschule?
Die Unterrichtsmethoden legen großes Gewicht auf das Spielen nach Gehör: Idealtypischer Folkunterricht läuft so ab, dass der Lehrer eine Passage vorspielt und der Schüler versucht, sie
wiederzugeben. Daneben lege ich persönlich viel Wert darauf, dass meine Schüler eigene musikalische Ideen entwickeln – also eigene Melodien komponieren, die wir dann auch aufnehmen. Ich bin immer wieder erstaunt, wie gut das schon mit Kindern funktioniert. Die meisten haben schon ein großes Hörrepertoire, das sie dafür verwenden können.
Eine Frage, die eher meinem Interesse gilt: Warum die Selbstbezeichnung „Dozent“ und nicht „Lehrer“?
Kleine Gegenfrage: warum sagst du in Frage drei „Novum“ und nicht „das Neue“?
Ihr seid ja alle in Bands tätig. Drängt sich euch nicht manchmal der Gedanke auf, dass ihr eure „Bandkonkurrenz“ von morgen unterrichtet?
Eigentlich nicht. Und selbst, wenn es so wäre: Ich wäre ziemlich stolz drauf, wenn einer meiner Schüler oder Schülerinnen irgendwann selbst Profimusiker werden sollte.
Wie soll es zukünftig weitergehen? Was sind realistische Zielsetzungen und was momentan noch eher Träume?
Unsere anfängliche Ziele haben wir im Prinzip schon erreicht: Wir waren erstaunt über die gewaltige Resonanz von Anfang an – derzeit haben wir rund siebzig regelmäßige Schüler. Für einige Fächer gibt es bereits Wartelisten. Dazu kommen noch die Teilnehmer an den Workshops und den Master Classes – zu denen man auch kommen kann, wenn man nicht regelmäßigen Unterricht nimmt. Highlights waren eindeutig die Workshops mit internationalen Gastdozenten – wir hatten im vergangenen Jahr den irischen Banjovirtuosen Gerry O’Connor (Four Men and A Dog, The Dubliners) und den englischen Liedermacher Allan Taylor bei uns. Taylor genießt in seiner Heimat in etwa den Status von Reinhard Mey hierzulande. Auf solche Sachen hätten wir in Zukunft natürlich noch mehr Lust.
Wie sieht es mit Unterstützung aus? Als erste Folkmusikschule Deutschlands ist der Gedanke ja durchaus nachvollziehbar, dass ihr bspw. durch die Stadt unterstützt worden seid?
Die Folkmusikschule hat sich von Anfang an ohne einen Cent Fördermittel getragen. Große Unterstützung hatten wir durch die Medien wie MDR, dapd und die Mitteldeutsche Zeitung, die über die Gründung der Folkmusikschule breit berichtet haben. Das war natürlich Gold wert.
Was ist eures Erachtens der wesentlichste Punkt, der eure Zielgruppe von den sogenannten Klassischen unterscheidet?
Viele Schüler haben so wie ich schon eine klassische Ausbildung durchlaufen – und sind einfach neugierig auf etwas anderes. Viele genießen auch die gesellige Seite von Folkmusik – wir veranstalten regelmäßig Sessions in einer Halleschen Kneipe, auf denen wir mit unseren Schülern zwanglos Musik machen. Viele Schüler treffen sich auch außerhalb davon, um gemeinsam Musik zu machen, das macht mich besonders stolz.
Bitte ein paar Eckdaten: Gründung, Veränderung, jüngster und ältester Schüler, gibt es vielleicht Überflieger? usw.
Die Folkmusikschule wurde offiziell am 16.6.2011 von Alan Doherty (Gráda, Lehrer für Irish Flute, Whistles und Bodhrán), Nico Schneider (Seldom Sober Company, schottischer Dudelsack und Banjos), Jan Oelmann (Dizzy Spell, Fiddle und Akustikgitarre) und Steffen Knaul (Die Tagelöhner, Fiddle, Akustikgitarre und Mandoline) eröffnet. Ergänzt wurde das Team später durch Claudia Hoffmann (La Moresca; keltische Harfe) und Juliane Weinelt (Dizzy Spell; musikalische Früherziehung). Dort sind die jüngsten Schüler drei Jahre. Unser ältester Schüler 68. Er lernt Dudelsack.
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Sehr interessant und absolut lesenswert. Vielen Dank!
Dem kann ich nur zustimmen !